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Kultur: Die Klasse der Masse

Irgendwann wird alles Legende, sogar der unversöhnlichste Gegensatz und seine Protagonisten: Hauptsache man hat etwas bewegt. Alexander Kluge ist Legende und ebenso die Leute um das Oberhausener Manifest 1962, aus dem der neue deutsche Autorenfilm hervorging, der zwei Jahrzehnte lange sehr wichtig sein sollte.

Irgendwann wird alles Legende, sogar der unversöhnlichste Gegensatz und seine Protagonisten: Hauptsache man hat etwas bewegt. Alexander Kluge ist Legende und ebenso die Leute um das Oberhausener Manifest 1962, aus dem der neue deutsche Autorenfilm hervorging, der zwei Jahrzehnte lange sehr wichtig sein sollte. Und Horst Wendlandt ist Legende, der 1962 mit dem "Schatz im Silbersee" seinen ersten Karl-May-Film produzierte und sechs Millionen Zuschauer ins Kino lockte, so viel wie alle neuen deutschen Autorenfilmer in - sagen wir - sechs Jahren nicht. Wer also hat gesiegt im ideologischen Kampf zwischen den klugen Wilden, die Filme für sich und ihre Freunde machten, und dem viel geschmähten, vital-trivialen Opa-Kino? Wohl niemand: Man muss am Mantel der Geschichte nur lange genug weben, dann hat er Platz für alle.

Horst Wendlandt hat in den achtziger Jahren mit den drei ersten Otto- und den beiden Loriot-Filmen seine größten Erfolge eingefahren, aber inwendig ist er vor allem ein Pfundskerl der sechziger Jahre geblieben. Welcher sechziger Jahre, werden geübte Legendenbildner sogleich zurückfragen wollen - jenes Jahrzehnts etwa, das die Berlinale-Retrospektive unlängst mit den Chiffren "Revolte, Phantasie und Utopie" programmatisch gleichsetzte? Wendlandts Sechziger, sein Durchbruch mit den Winnetou- und Edgar-Wallace-Filmen, stehen für das glatte Gegenteil. "Bodenständiges Beharrungsvermögen, Sinn fürs ökonomisch Machbare und sicherer Publikums-Riecher" - so müsste man wohl eine Retrospektive der über 100 in 44 Jahren von Wendlandt produzierten und coproduzierten Filme überschreiben. Wenn denn das arg nüchterne Begriffs-Dreigestirn nicht gar zu leuchtschwach daherkäme.

Ein Denkmal namens "Otto"

Dennoch stimmt sie, diese eine Legende. Mit der eisernen Befolgung des Gesetzes der Serie, wozu freilich auch die Inspiration gehört, neue Serien anzuschieben, ist Horst Wendlandt - über die Jahrzehnte gesehen - wahrscheinlich der erfolgreichste lebende deutsche Filmproduzent geworden. Allein fünf der 20 erfolgreichsten Kinofilme seit 1980 gehen durchaus auch im Wortsinn auf sein Konto, und nur für diesen Zeitraum muss Wendlandt sich dem weitaus jüngeren Bernd Eichinger, der sieben Filme unter den Top Twenty versammelt, geschlagen geben. Sein erster "Otto"-Film thronte gar legendäre 16 Jahre auf der Pole Position deutscher Kassenschlager, bevor ein merkwürdiger Vorbeikömmling namens "Der Schuh des Manitu" sehr plötzlich eine Nummer größer war. Kein Wunder, dass Wendlandt mit seinen Millionen-Hits insgesamt Milliarden umsetzte. Selbst Neider werden da zugeben: Auch Masse kann manchmal ganz schön klasse sein.

Ganz Große, die sich souverän oben halten, haben meist sehr klein angefangen. Zähigkeit, Kampfeslust, geschickter Angriff anderer und hartnäckige Verteidigung eigener Positionen: Diese Erinnerungswerte aus mageren Jahren halten ein Leben lang. Horst Wendlandt, geboren in Criewen bei Schwedt/Oder als Sohn eines russischen Landarbeiters, wächst bei Kleineleute-Verwandten in Berlin auf. Schulabschluss mit fünfzehn auf der Höheren Handelsschule für Jünglinge, das war das Äußerstmögliche. Nach der Schule Ausbildung zum Filmkaufmann und erster Job bei der Tobis (die er 1972 wegen der frisch erkämpften Rechte an zehn Chaplin-Filmen, die sonst niemand wieder ins Kino zu bringen wagt, kurzerhand als Verleih neu gründet).

Ende der fünfziger Jahre wird Wendlandt Herstellungsleiter in Artur Brauners CCC und steigt 1961 bei der unsprünglich dänischen Rialto Film ein, die er bald zum eigenen Familienunternehmen ausbaut und noch heute führt. Der Rest ist Legende: der Welterfolg mit über zwei Dutzend Edgar-Wallace-Filmen, gleich drei Goldene Leinwände - jeweils über drei Millionen Kinobesucher - für die ersten Karl-May-Filme, später die "Otto"-Tetralogie bis hin zu Loriots "Ödipussi" und "Pappa ante portas", unablässige Lust auf Gipfelstürmerei in den Charts. Aber auch Ausflüge ins künstlerische Fach, zeitweilige Fluchtversuche vielleicht auch vor dem zu glatten Fabrizieren - mit Fassbinders "Lola" und der "Sehnsucht der Veronika Voss". Und Ingmar Bergmans Filmversion seiner einzigen deutschen Bühnenproduktion, "Das Schlangenei".

Erst trivial, dann klassisch

Man habe "viel Mist" gemacht damals, vertraute Wendlandt unlängst Volker Schlöndorff fast altersweise in einem Gespräch an, das am Montag auf Arte gesendet wird. "Aber die Leute haben diesen Mist gesehen". Und selbst ein Oscar-Preisträger wie Schlöndorff gibt ebenso freimütig zu, dass viele der eigenen ehrgeizigen Werke und jener seiner einstigen Mitstreiter zwar Legende sein mögen, aber weithin vergessen sind, während die Trivialitäten von damals längst als Klassiker gelten. Ein Triumph für den Produzenten mit der Produzentenzigarre, der Produzentenyacht, der Produzentenvilla, dem Produzentenzweitwohnsitz am Starnberger See und all jenen Insignien, die auch preußische Tycoons sich gerne leisten? Ein halber Triumph wohl nur: Wer immer gekämpft hat, teilt nicht gern.

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