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Kultur: Die Kunst des Faustschlags

LITERATUR

Das sagt sich so leicht: Am Samstagabend las Michael Lentz in der Jurte Nr. 2 am Potsdamer Platz. Dabei sind die Jurten des „ Berliner Wintersalons “ einer der wunderbar-verrücktesten Orte des Lesebetriebs. Der violette Himmel des Sony-Centers wird im rot-weißen Dach aus Ulan Bator quasi verdoppelt. Drunter sitzt Lentz und liest an gegen das Stimmengewirr der Touristen draußen. Außerdem liest er in Konkurrenz zu „Mona Lisas Lächeln“, das nebenan im Kino „Cine Star“ läuft. Und Lentz gewinnt. Zumindest bei den dreißig Zuhörern, die sich in der voll besetzten Jurte drängeln. Selbst wenn er einige vergleichsweise sinnfreie Passagen aus seinem Roman „Liebeserklärung“ präsentiert, ist klar: Das ist sprachmächtige, formal durchkomponierte Literatur.

Und wie jeder ernsten Literatur liegt ihr ein Unbehagen zugrunde. Das Ich, das Lentz durch seinen Text schickt, ist erstens in eine schlecht beendete und zweitens in eine schlecht begonnene Liebesgeschichte verstrickt. Drittens ist es mit dem Zug unterwegs durch Deutschland. Drei Anlässe also zu teils zärtlicher, teils hämischer Wortakrobatik. Die „so genannte Dichterlesung“, wie Lentz im Thomas-Bernhard-Duktus gern sagt, ist in Wahrheit eine Schokoladendisziplin dieses begnadeten Sprachspielers. Kaum einem Autor folgt man so gebannt, wenn er sich in Rage liest und seine Sätze ins Mikro skandiert. Kürzlich hat er seine Poetik im Bild des Boxers gefasst. Der arbeitet sich jahrelang ab an der Variation einer immergleichen (Schreib-)Bewegung – in der Hoffung auf einen „Lucky Punch“, den entscheidenden Schlag. „Großer Sport“, kommentiert ein junger Mann anerkennend, als Lentz sein Buch zuklappt. Recht hat er.

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