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Kultur: Die Kunst, die er liebte

Heinz Berggruen und Berlins Museen. Zum Streit um eine Biografie.

Die gerade erschienene Publikation von Vivien Stein „Heinz Berggruen – Leben und Legende“ hat bereits diverse Kommentare in der Presse hervorgerufen. Einiges habe ich mit Verwunderung und unangenehm berührt gelesen. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz kann dazu nicht schweigen, denn ihre Staatlichen Museen standen seit Anfang der 90er Jahre in enger Verbindung mit Heinz Berggruen, der unbenommen einer der bedeutendsten Kunsthändler seiner Zeit war. Ja, er war zeitlebens Kunsthändler, was ist daran verwerflich?

Daneben wirkte er besonders im letzten Jahrzehnt seines Lebens auch als besonnener Versöhner auf vielen Ebenen. Er kehrte in seine Heimatstadt Berlin zurück, die er einst wegen seiner jüdischen Wurzeln verlassen musste, und er kam nicht alleine, sondern zusammen mit seiner Sammlung, die er als sein Lebenswerk bezeichnete. Die Zeit nach der Ausrottung des jüdischen Bürgertums durch die Nazis kennt nur wenige mäzenatische Großtaten einer Dimension, die vergleichbar wäre mit dem, was Heinz Berggruen für die Berliner Museen tat.

Das Buch hingegen will ein anderes Bild zeichnen: Heinz Berggruen als knallharter Geschäftsmann, dem die Kunst immer nachrangig war, der die Werke hin und her schob, wie es der Markt gerade verlangte, und dessen Herz an nichts mehr hing als an einem guten Deal. Dabei wird konstruiert, was das Zeug hält, diffamierende Mutmaßungen werden schnell zu Tatsachen erhoben, und am Ende steht ein Zerrbild, das ganz gezielt zerstörerische Macht entfalten soll. Zu passgenau scheint sich dies alles zur angeblich von Berggruen gespielten „Judenkarte“ zusammenzufügen. Die Strategie dieses Demontageversuchs ist abstoßend, doch es spricht für den wachen Geist der Öffentlichkeit, dass nur wenige dem perfiden Machwerk auf den Leim gegangen sind.

Man möchte sich Wut und Scham gleichermaßen von der Seele schreiben, doch wichtiger ist es, die Fakten in Erinnerung zu rufen: Nach Berlin gab Heinz Berggruen seine umfangreiche und herausragende Sammlung zur Klassischen Moderne zunächst als langfristige Leihgabe, und ab 1996 waren mehr als 180 vortreffliche Werke, die Vivien Stein als „Lagerbestand“ abtut, in der Obhut der Nationalgalerie, ein seltener Glücksfall für die Berliner Museen! Für öffentliche Einrichtungen ohne nennenswerte Ankaufsetats sind solche Konvolute höchster Qualität auf dem freien Kunstmarkt seit jeher unerschwinglich.

Unter dem Titel „Picasso und seine Zeit“ werden im Museum Berggruen in Berlin-Charlottenburg seit 1996 auf drei Etagen Gemälde, Skulpturen und Arbeiten auf Papier gezeigt. Zwei Millionen Besucher haben sich dort von dieser Sammlung begeistern lassen. Picassos Schaffen wird dabei in all seinen Facetten erfahrbar: von einem Blatt aus seiner Studienzeit 1897 bis hin zu Werken von 1972, die ein Jahr vor dem Tod des Künstlers entstanden sind. Rosa und Blaue Periode sind ebenso vertreten wie die Phasen des Kubismus und Klassizismus. Der zweite Schwerpunkt liegt auf den Bildern von Paul Klee; berühmte Scherenschnitte von Henri Matisse und mehrere Bronzeskulpturen von Alberto Giacometti treten hinzu.

Im Jahr 2000 bestand die einmalige Möglichkeit, die Sammlung von Heinz Berggruen bis auf wenige Einzelstücke zu erwerben. Es war das Verdienst der Kulturpolitik des Bundes und des Landes Berlin, dass dies gelingen konnte. Insgesamt 165 Werke wurden im Dezember 2000 von Heinz Berggruen an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) übereignet. Der Preis dafür ist bekannt: 253 Millionen Mark. Der tatsächliche Wert der Sammlung betrug schon nach damaligen Schätzungen mindestens das Dreifache, von heutigen Wertbemessungen ganz zu schweigen. Ein solcher Erwerb wäre für die SPK wie für jede andere öffentliche Kultureinrichtung in Deutschland schlicht nicht realisierbar gewesen. Dass dieser Ankauf zu einem geringen Teil des eigentlichen Wertes überhaupt möglich wurde, das war das große Geschenk von Heinz Berggruen. Oder hätte er, nur weil er Jude war und vor den Nazis aus Berlin fliehen konnte, seine Sammlung vollständig dieser Stadt schenken müssen?

Es waren die Staatlichen Museen, die Heinz Berggruen gebeten hatten, nach Berlin zu kommen, mit seiner ganz persönlichen Geschichte, die auch Teil unserer Geschichte ist. Für die Nationalgalerie war dieser Zuwachs Glücksfall und Chance zugleich, weil die Nazis sie durch die Aktion „Entartete Kunst“ ihrer besten Werke und ihres international herausragenden Rufs als Museum der Klassischen Moderne beraubt hatten. Es ist bizarr, wenn Vivien Stein behauptet, der Schaden der Berliner Museen durch die Beschlagnahmungen der Nationalsozialisten hätte sich in Grenzen gehalten. Die Wahrheit ist, dass die 1937 von den Nazis begonnenen „Säuberungsmaßnahmen“ zu Verkauf oder Vernichtung von über 400 bedeutenden Werken der Nationalgalerie geführt hatten. Doch Wahrheit zählt in Steins Machwerk wenig.

Dieser ungeheuere Verlust war nach Kriegsende kaum wieder auszugleichen, auch wenn die im Jahre 1945 vom Magistrat von Groß-Berlin gegründete und der Nationalgalerie als Dauerleihgabe überlassene „Galerie des 20. Jahrhunderts“ half, die eine oder andere Lücke zu schließen. An die Qualität des Vorkriegsbestandes zur Klassischen Moderne konnte die Nationalgalerie erst mit dem Erwerb der Sammlung Berggruen allmählich wieder anknüpfen. Erfreulich auch, dass damit ein Ausgangspunkt gesetzt ist für weitere zukunftsgerichtete Aktivitäten, denn das Museum Berggruen wächst. Vor einigen Wochen hat die SPK Richtfest gefeiert für die Erweiterung des Hauses, das im Sommer nächsten Jahres mit zusätzlichen hochkarätigen Leihgaben der Familie Berggruen wiedereröffnet wird.

Heinz Berggruens mäzenatische Tat war also nicht nur eine große Geste der Versöhnung, sondern half auch, einige der Wunden, die sich die Deutschen durch die NS-Barbarei im Hinblick auf die Kunst selbst geschlagen hatten, wieder zu heilen: „Nach Berlin, an den Ort meiner Kindheit, zurückgekommen bin ich mit dem Bewusstsein, einen Beitrag zu leisten, einen geistigen und kulturellen Beitrag zu dem moralischen Wiederaufbau meines alten Landes, das während zwölf dunkler Jahre dekretiert hatte, die Kunst, die ich liebe, als entartet zu verwerfen“, so Heinz Berggruen.

Diese Botschaft zu vermitteln war dem Berliner Ehrenbürger immer ein besonderes Anliegen, wenn er sich unerkannt unter das begeisterte Publikum mischte, sich von Kommentaren der Staunenden animieren ließ, um dann zu ergänzen, zu erklären und ganz spontan die Führung der Besucher zu übernehmen, inspiriert von den großartigen Werken der von ihm verehrten Künstler. Heinz Berggruen stiftete nicht nur Kunst für Berlin, er lehrte uns auch, wie sich über die Freiheit, die der Kunst und Kultur innewohnt, Brücken zwischen den Welten schlagen lassen.

Hermann Parzinger ist Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

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