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Kultur: Die Kunst ist rund

Berlins Akademie der Künste sucht „Rituale“ – und entdeckt sie überall

Ein Ritual, das wir alle kennen: ein Podest, darauf Tisch und Stühle, Wasserflaschen, Mikros. Die Meute sitzt im Saal, schlürft Kaffee, tuschelt, lacht. Eine der Kuratorinnen dankt endlos den Sponsoren: Akademie, Hauptstadtkulturfonds, den Botschaften von Frankreich, Japan und den Niederlanden. Dann einige Fragen, eher lustlos, die Antworten eher langatmig. In 30 Minuten ist alles vorbei.

Die Pressekonferenz zur Ausstellungseröffnung kann vieles sein: Zwang, Macht, Kommunikation und (leider selten) Spiritualität. Bedeutet es schon einen Ritualbruch, wenn die Wasserflasche zwischendrin um-, das Mikro ausfällt, oder gehört das dazu? Hat sich die Zeremonie in den vergangenen 40 Jahren Akademieausstellungen am Hanseatenweg verändert? Schon dass die Eröffnung der Ausstellung „Rituale“ an diesem Sonnabend um 18 Uhr statt wie sonst sonntagmorgens um 11 Uhr stattfindet (Kuratorin Nina Muecke: „Das ist eine bessere Zeit zum Feiern“), ist ein fast revolutionärer Eingriff.

Zwang, Macht, Transformation und Spiritualität sind Begriffe, mit denen die Kuratorinnen Nina Muecke und Angelika Sommer Schneisen in ihr allzu weit gewähltes Feld schlagen wollen. 24 Künstler von Beuys bis Ulrike Ottinger haben sie zusammengebracht. Doch so allgegenwärtig die Rituale im täglichen Leben sind, so schwierig lassen sie sich – nach Ende einer religiös geprägten Gesellschaft – erfassen. Wir kennen Essrituale und Trinkrituale, Trauer- und Festrituale, Sport- und Freizeitrituale und natürlich auch Kunstrituale. Gerade die Offenheit, mit der sich unsere säkulare Gesellschaft immer wieder zu neuen Sinneinheiten zusammenfindet, erschwert den Überblick.

Dass allerdings gerade in der Kunstszene eine Beschäftigung mit dem Thema „in der Luft“ liege, wie die Kuratorinnen betonen, darf man bezweifeln: Hier waren die 60er und 70er Jahre mit ihren Performances und Kunstaktionen viel stärker ritualisiert als die Gegenwart, die eher unter einer neuen Unübersichtlichkeit zu leiden scheint. Rituale jedoch setzen vor allem eins voraus: Gemeinsamkeit. Und so setzt die Ausstellung auch mit den 60er Jahren ein: Joseph Beuys – sich auf ihn zu berufen, ist heute auch ein Ritual – steht mit einigen zarten Zeichnungen aus der „inneren Mongolei“ am Anfang.

Er eröffnet gleichzeitig den immer noch fruchtbarsten Strang Spiritualität, der – nicht weiter verwunderlich – in die asiatische Kunstwelt führt. Der in Berlin lebende Künstler Yuan Shun versetzt Bilder der mystischen „Heiligen Berge“ Yellow Mountains mit rot flackernden Fahrradleuchten, angeordnet in Form von I-Ging-Zeichen. Zhang Huan, inzwischen international gefeierter Performance-Künstler und derzeit auch in einer Ausstellung der Berliner Galerie Volker Diehl zu sehen, hat den Sprung über den Großen Teich geschafft, wenn er nackte Amerikaner durch die Straßen von New York schickt oder sich selbst als Schamane auf ein mit Eisblöcken belegtes Bett legt.

Dann aber geht es fröhlich ins Alltagsleben: Die Französin Sophie Calle gestaltet nach einer Idee von Paul Auster ihre „Chromatische Diät“, bei der jeden Tag nur in einer Farbe gekocht wird, und ordnet ihre Geburtstagsgeschenke nach Jahren in Vitrinen. Der Niederländer Aernout Mik dokumentiert dagegen das männliche Trinkritual in einer Autowerkstatt, wo fünf Mechaniker im Kreis stoisch an Pappbechern nuckeln. Der spanische Künstler Adrià Julià schmuggelt einen grünen Cowboy in eine seriöse Business-Beratung, während Mischa Kuball zu Texten von Deleuze und Guattari zwei Hände zeigt, die nichts tun als unablässig Teig zu kneten. Dass die Berliner Malerin Cornelia Schleime mit ihren eindrucksvollen Zopfbildern (ein kleines Mädchen wird von ihren langen Zöpfen abwechselnd gepeitscht, gefesselt und erdrosselt) hierher fand – Abteilung Zwang –, scheint hingegen eher dem Bildtitel „Rituale“ zu verdanken.

Ausbruch aus der Tristesse des Alltags bieten die vielfältigen Freizeitrituale: Ingeborg Lüscher hat in ihrer für die Biennale in Venedig entworfenen Arbeit zwei Schweizer Fußballteams in edle Trussardi-Anzüge gesteckt und gegeneinander antreten lassen: Der Wechsel der Arbeits-Uniform führt bei den Sportprofis kurioserweise nicht zu gesitteterem, sondern erst recht zu aggressivem Verhalten. Julian Rosefeldt hingegen hat die Trinkzeremonien des Münchner Oktoberfestes auf riesigen Farbfotos zu einer säkularen Messe überhöht. Und Mark Wallinger hat in seiner Videoarbeit „Royal Ascot“ über vier Jahre hinweg den Einzug der Queen auf die Pferderennbahn beobachtet: Ein so exakt choreographiertes Ritual, dass die einzelnen Jahre nicht zu unterscheiden sind.

Ergebnis: Vielfältig sind die Götter der Freizeitgestaltung, denen wir huldigen, und wo Menschen zusammentreffen, da entstehen auch Rituale. Nur, fragt zu Recht ein ratloser Journalist auf der Pressekonferenz: Was eigentlich ist kein Ritual?

Akademie der Künste, bis 11 Mai, täglich 11 bis 20 Uhr. Eröffnung: Sonnabend, 18 Uhr (Eintritt frei). Katalog 7 Euro

Christina Tilmann

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