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Kultur: Die Lady seufzt den Blues

Königin im Flokati-Pelz: Diana Ross gibt im Berliner Tempodrom ein fulminantes Konzert

Nichts ist erniedrigender für eine Künstlerin, als mit der eigenen Käuflichkeit konfrontiert zu werden. Im Film-Musical „Lady Sings The Blues“ spielt Diana Ross Billie Holiday, die tragisch-traurige Heilige des Jazzgesangs. In einer Szene singt sie in einer Kellerspelunke „The Man I Love“: eine Sehnsuchtsode an den Mann, der ihr Retter sein wird. Sie seufzt und barmt und legt ihre ganze Seele in die Zeilen: „Some day he’ll come along / The man I love.“ Und die Männer, die an den vorderen Tischen sitzen, halten ihr Dollarscheine hin. Einen Moment zögert sie, dann steckt sie das Geld in den Ausschnitt. Ross zeigt den Triumph und das Zugrundegehen der Holiday, sie hat es nicht nötig, den Blues herauszuschreien. Ihr Säuseln reicht. Für „Lady Sings The Blues“, ihren besten Film, wurde sie 1972 für den Oscar nominiert.

Auch beim Konzert im Berliner Tempodrom singt Diana Ross den GershwinKlassiker. Für den Jazzblock ihres Programms hat sie extra ein weißes Glitzerkleid im Holiday-Look angezogen, ein hauchdünnes Nichts, das aussieht wie aufgemalt. Aber diesmal ist „The Man I Love“ keine S.O.S-Sirene, sondern eine selbstbewusst inszenierte Demonstration des eigenen Könnens. „And he’ll be big and strong/The Man I love.“ Die Ross haucht die Wörter, zerdehnt die Silben, der weiche Ansatz ihrer Stimme erinnert an ein Saxofon. „Maybe I shall meet him sunday/Maybe Monday, maybe not.“ Vielleicht kommt er, vielleicht lässt er’s bleiben. Verzweiflung klingt anders. Wer solch eine strahlende Stimme besitzt, hat es nicht nötig, sein Glück an einen anderen zu binden.

In der mit 1300 Zuhörern nur halb ausverkauften Halle wird die Soul-Diva vom ersten Moment an gefeiert. Diana Ross ist jetzt 61, aber noch immer beschreibt sie sich gern als großes Kind: „Ich war Mamas kleiner Spatz, mein Körper fühlte sich so leicht an wie ein Vogel.“ Das Vogel-Gewicht ist geblieben; als die Sängerin zu Scheinwerfergewittern und Discorhythmen die Bühne betritt, trägt sie ein rosafarbenes Kleidchen, das Schultern und Beine frei und sie zum Umpusten dünn aussehen lässt. „I’m coming“, hatte sie schon aus dem Off gerufen, nun singt sie „I’m Coming Out“, ihren Hit aus dem Jahr 1980. Das Konzert beginnt, wie normalerweise Konzerte enden, mit einer Art Zugaben-Teil, dem Best-of im Schnelldurchlauf.

„Where Did Our Love Go?“, „Baby Love“, „Stop! In the Name of Love“, „My World Is Empty Without You“. Die Supremes-Erfolge aus den Sechzigerjahren, mehr Pflicht als Kür. Der harte Viervierteltakt, der die Motown-Songs antreibt, war die geniale Erfindung des Produzenten Berry Gordy, Ross’ Entdecker und zeitweiliger Lebensgefährte. Live wird der Motown-Beat zum Pulsschlag, an dem die achtköpfige Band sich entlanghangelt und abarbeitet. Der Pianist bearbeitet sein Instrument am liebsten mit einem harten Anschlag nach Art des Ramsey-Lewis-Quartetts. Weil es nur einen Saxofonisten gibt, müssen gelegentliche Arabesken der beiden Synthesizer die Bläsersätze ersetzen. Ein Organist spielt mitunter – fast eine Jahrmarkts-Attraktion – mit der rechten Hand Trompete, während die linke die Keyboards bedient. Eine Background-Sängerin und ein -Sänger steuern „Uuh-hu-uuh“-Seufzer und „Baby“-Ausrufe bei.

Diana Ross steht lange statuengleich im Scheinwerferlicht, eine stolze Königin. Sie wiegt sich in den Schultern, deutet hüftkreisend einen Tanz an; wenn sie in kleinen Schritten die Bühne abschreitet, scheint sie auf Schlittschuhen zu gleiten. Die Supremes-Hits sind Miniaturdramen, die hinter der Girl-meets-Boy-Fassade von den Schrecken des Teenager-Daseins handeln, von Verlustängsten und innerer Leere. Ross hat sie zu oft gesungen, um noch Lust zu haben, deren Abgründigkeit auszuschöpfen.

Verwandlungen. Der Sängerin wird von einer Helferin ein Umhang über die Schultern gelegt, ein bizarrer Pelz aus lilafarbenem Flokati. Mit bitterem Timbre singt sie „Touch Me in the Morning“, einen hinreißenden Liebes-Abgesang: „We don’t have tomorrow / But we have yesterday.“ Dann verschwindet sie hinter der Bühne, in einem weißen Ballkleid mit viel Tüll kehrt sie zurück. Das Konzert wird fulminant, es beginnt der Funk-Block. „Love Child“, „It’s My House“, „Upside Down“, „Ease on Down the Road“. Der Bass blubbert, das Piano driftet in Honky-Tonk-Gefilde, Bongos latinisieren das brodelnde Soundgemisch. 1970 hatte sich Ross von den Supremes getrennt, der Anfang eines kreativen Höhenflugs. Als sie jetzt „Ain’t No Mountain High Enough“ anstimmt, ihren ersten Solo-Hit, kennt der Jubel keine Grenzen. Die Sängerin tanzt mit Fans, lässt sich Wangenküsse geben. Ihr Erfolg hat einen Grund: Sie ist berührbar geblieben.

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