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Kultur: Die letzte Zigarette

Jetzt auch als Theaterstück: Fassbinders „Die Ehe der Maria Braun“ in Düsseldorf

War es wirklich einmal eine schreckliche Vorstellung, dass Frauen so handeln wollen wie ein Mann? Dass sie „gemein“ sein können, auf ihren Vorteil bedacht, dass sie Geschäfte machen und sich nicht um ihre Seele, sondern um Finanzen kümmern? Und ist es eine notwendige Folge, dass alles ganz fürchterlich zu Bruch gehen muss, wenn sie gleichzeitig noch an die große Liebe glauben? Für Fassbinders Maria Braun war das so. Die Frau, die ihren Mann im Krieg geheiratet und gerade einmal „einen halben Tag und eine ganze Nacht“ genossen hat, die ihn erst vermisst, dann für tot erklärt bekommt, dann unvermutet wiederfindet, um ihn für Jahre ins Zuchthaus zu verlieren, sie lernt, im Leben ihren eignen Mann zu stehen. Sucht sich eine Stelle, bevor es überhaupt wieder Stellen gibt, verführt die Männer, bevor die sie verführen, und ist in jeder Hinsicht mutiger, selbständiger und klüger als die im Krieg gebrochenen Männer. „Ich mache die Wunder lieber, als dass ich auf sie warte“, ist eine von Marias Leitsätzen, und die Wunder gelingen ihr, eines nach dem anderen. Am Ende aber scheitert sie bitterlich.

24 Jahre nach der Uraufführung von Rainer Werner Fassbinders Film auf der Berlinale in Berlin – Hanna Schygulla wurde in der Titelrolle mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet – hat sich für Maria Braun nicht viel geändert. Eben ist im Funkenregen die Welt untergegangen, und nun setzt sie sich im Großen Haus des Düsseldorfer Schauspielhauses wieder zusammen. Die Drehbühne ruckelt sich zurecht, Bühnenwände fahren nieder, schließen zusammen, ein Saal entsteht. Rechts und links Emporen, vorn einige Bistrotische, hinten Glaswand mit Drehtür, alles schön resopalverkleidet, ein wenig Marthaler-Tristesse, ein wenig 60er-Jahre-Chic. Ein Aufbauwunder der Bühnen-Maschinerie. Und ein Wartesaal der lebendigen Toten.

Dort sitzen sie und löffeln ihre Suppe, die traurigen Nachkriegsgestalten, die den Trümmerstaub noch im Haar und das Deutschlandlied noch im Ohr haben – bis Maria Braun über sie hineinbricht. Die junge Schauspielerin Bettina Engelhardt wirkt wie eine Wiedergeburt der Schygulla mit ihrer unbändigen blondlockigen Mähne. Eine jüngere, unschuldigere Wiedergeburt zunächst, eine, die in ihren Fliegerstiefeln auf die Bühne trampelt und frech verkündet, für Hochzeitskleider zahle heute niemand mehr: „Zu viele Bräute. Zu wenig Männer“. Und die sich dann Jahr für Jahr weiterkämpft, die sich selbst erfindet, über das erste Abendkleid, das knappe Kostümchen bis hin zum Pelzmantel mit Leoparden-Besatz. Die da, wo die Schygulla immer kühler, immer unnahbarer wirkt, stattdessen immer vulgärer, immer enthemmter wird, bis sie als Raubkatze auf dem Boden kriecht oder lasziv Tango tanzt, dass der Atem stockt. Am Schluss ist da ein fast hysterischer Volksbühnen-Ton in ihrer Stimme, ein freches Berlinern, mit dem sie ihre Männer zum Teufel schickt – und ihre Träume hinterher. „Ich habe nie gesagt, dass ich es leicht haben will“, legt Fassbinder seiner Maria in den Mund. Bettina Engelhardt glaubt man es sofort.

Und doch wünscht man ihr, dass sie etwas mehr Freiheit bekommen hätte. Denn Regisseur Burkhard C. Kosminski, in Berlin bekannt durch seine Merlin-Inszenierung an der Schaubühne, legt ihr mit seiner Inszenierung, ein enges Korsett um. Sehr kühl, sehr elegant, sehr filmgetreu inszeniert er seine Moritat vom Leben und Scheitern der Maria Braun. Es ist der Geist der Nachkriegsjahre, den er noch einmal beschwört, vom Musik-Medley mit Boogie-Woogie und Capri-Sonne bis hin zu den Kostümen. Und auch wenn er Fassbinders Film, der mit Fotos der deutschen Kanzler von Adenauer bis Schmidt endete, fortschreibt bis zur Wiedervereinigung, auch wenn nicht mehr der triumphierende Radiokommentar „Deuschland ist Weltmeister“ nach dem Wunder von Bern 1954 am Ende steht, sondern Helmut Kohls nicht minder triumphierende Ansage, Deutschland sei endlich vollgültiges Mitglied der Vereinten Nationen, so bleibt die Geschichte, die Kosminski erzählt, merkwürdig zeitentrückt. Diese Maria, die so sehr den deutschen Traum vom Wirtschaftswunder verkörpert, ist in Zeiten, in denen schon lange nicht mehr vom Wirtschaftswunder die Rede ist, nicht up to date. So ganz versteht man es nicht, warum nun dieses Stück. Warum noch einmal. Und warum heute.

Da hilft es dann auch nicht, dass Kosminski den Abend nahezu perfekt durchgearbeitet hat: Die (Bühnen-)Welt, die sich am Anfang neu zusammengesetzt hat, fällt am Ende wieder in Stücke, der Kreis, in dem Maria so lange verzweifelt gerannt ist, schließt sich, und die letzte Zigarette zündet sie sich selber an. In Düsseldorf wirkt das alles sehr weit entfernt, wie hinter Glas gespielt. Es gibt sie doch auch heute, diese Frauen, die um ihre Unabhängigkeit kämpfen. Frank Schirrmacher hat sie in diesem Sommer als Schreckbild an die Wand gemalt: Frauen, die kühl ihren Weg planen und jedes Gefühl ängstlich beiseitewischen und höchstens einmal mit rauher Stimme sagen: „Es ist keine gute Zeit für Gefühle.“ Und die trotzdem an die große Liebe glauben, daran, dass irgendwann einmal jemand kommen wird, dem sie alles schenken können, und sagen: „Ich habe alles für dich getan.“ Es gibt sie, diese Träume. Es gibt sie, diese Frauen. Nur auf der Bühne erkennt man sie nicht wieder.

Christina Tilmann

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