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Kultur: Die Letzten werden die Ersten sein

Christoph Schroth inszeniert in Cottbus die deutsche Premiere der „Kinder“ von Edward Bond

Geben wenigstens die Kinder noch Hoffnung? Edward Bond, der britische Apokalyptiker, der in „Gerettet“ einst Jugendliche auf der Bühne ein Baby steinigen ließ, scheint ihnen in seinem jüngsten, im Jahr 2000 vollendeten Stück mit dem Titel „Kinder“ noch Vertrauen zu schenken. Und zerstört doch alle vorsichtige Sicherheit in rätselhafter Weise. Die Kinder fliehen aus der Welt der Erwachsenen. Mit ihrer Flucht würde die Erde menschenleer, und unter Opfern machen sich die Halbwüchsigen ihren Weg frei, suchen ein Ziel, um überleben zu können. Und werden vom letzten Erwachsenen mit einem Pflasterstein erschlagen: bis auf einen, Joe, den Brandstifter und Mörder wider Willen, von einer rachsüchtigen Mutter angestiftet. Joe erreicht das Meer, aber er ist allein. „Ich bin die letzte Person auf der Welt. Ich muss jemanden finden.“

Edward Bond hat ein Stück vom Sterben geschrieben. Vom Wachsen einer Wüste, die sich in die Familien frisst und dann das Land verschlingt. Was der heute 68-jährige Dramatiker zeigt, wirkt greifbar, derb, eindringlich – und ist doch auch verrückt, nebelhaft, geheimnisvoll. So stehen den abenteuerlustigen, draufgängerischen Jungen und Mädchen die eigensüchtige, sinnlich gierige Mutter und ein gefühlskalter Alter gegenüber – als Eva und Adam, das ins Böse gewendete Urpaar der Menschheit? Als die Gebärerin und der Tod? Bond will in seinen zwölf Szenen auf das Prinzip Hoffnung trotzdem nicht verzichten. Unter den Kindern gibt es noch schüchterne Zuneigung, einen Hauch von Liebe. Auch solidarisches Verhalten, Kameradschaft, Fürsorge . Aber dann schon bald Rivalität, Hass, brutales Dreinschlagen. Sicher ist nur: Die Geschichte, die da erzählt wird, liefert keine Wirklichkeit. Sie hebt ab ins Mythische. Joe, vielleicht ein neuer Heilsbringer, ist der Letzte – und also der Erste.

Die deutsche Erstaufführung der „Kinder“ hat Edward Bond Christoph Schroth und dem Staatstheater Cottbus anvertraut. Dramatiker und Regisseur verbindet eine verlässliche Arbeitsbeziehung. Und Schroth zeigte sich mit seinem Ensemble sowohl der poetischen „Vergeisterung" (um einen Ausdruck von Georg Büchner abzuwandeln) als auch der rücksichtslosen Härte des Textes gewachsen. Jochen Finke hat eine schwarze, nach hinten im Abgrund endende Szenerie entworfen, die von einem Video-Fenster nicht entgrenzt, sondern eher bedrängt wird, mit Bildern von fahler Sonne, von Kargheit und Müll, von Wasser und Wind. Hier entsteht, nachdem die Wohnstube von Mutter und Joe im Orchestergraben versunken ist, die sterbende Welt. Noch gibt es ein Klettergerüst, als Treffpunkt der Jungen, später nur noch Autoreifen, Tüten, Dosen, Leere.

Schroth schickt ein junges, sehr vitales Ensemble in diese Ödnis. Momente von Zärtlichkeit wechseln mit Raufereien, deren zeitlupenhafte Verlangsamung auf eine immerwährende Gewaltbereitschaft weist. Alle Schauspieler tragen durchsichtige Masken, die ihre Gesichter leicht verfremden. Bei Barbara Bachmann als Mutter ist das bis zum Puppenhaften gesteigert, Sven Hönig (Joe) zeigt das verbissen Staunende, Insichgekehrte, Schwerfällige eines aus der Bahn Geworfenen mit trotziger Konsequenz, Horst Rehberg überzeugt als bleicher Alter und wirkt im Nosferatu-Mantel bedrohlich kalt.

In der Brandenburger Regierung gibt es wohl Pläne, dem Staatstheater Cottbus seinen Status und die Landeszuschüsse zu streichen. Ob die überzeugende Bond-Erstaufführung hilft, diese Sparmaßnahme zu überdenken, muss abgewartet werden.

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