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Kultur: Die leuchtende Venus

Katharina Sieverding erhält in diesem Jahr den renommierten Goslarer Kaiserring und wird 60 Jahre alt. In der Berliner Galerie Thomas Schulte zeigt die Fotokünstlerin jetzt neue Arbeiten

Der Name Katharina Sieverding löst bei den meisten eine Art Pawlow’schen Reflex aus: Vor dem inneren Auge taucht sofort ikonenhaft das schön-herbe Gesicht der Künstlerin auf, das die 1944 geborene Fotografin im Lauf ihrer inzwischen mehr als drei Jahrzehnte umfassenden Karriere zum Markenzeichen gemacht hat. Um die Inszenierung der eigenen Persönlichkeit oder individuelle Nabelschau ging es ihr dabei nie. „Von Anfang an“, so Sieverding, „habe ich immer versucht, das Gesicht als eine Oberfläche zu formulieren, als Schnittstelle von Innen- und Außenleben“. In diesem Sinne spielen schon die frühen „Fotomaton-Porträts“ vom Ende der Sechzigerjahre, die nach nächtlichen Ausflügen der damaligen Kunststudentin in Düsseldorfer Szenetreffs in Passbildautomaten entstanden sind, ganz im Geist der Zeit mit den Grenzen zwischen privatem Ich und öffentlicher Rolle, spontaner Geste und ritualisierter Pose. Das Interesse am eigenen Bild teilt Sieverding mit vielen Künstlerinnen ihrer Generation. Allerdings hat keine andere dieses Bild so offensiv mit avancierten technologischen Möglichkeiten der Bildbearbeitung erforscht und zum Bestandteil von hoch artifiziellen Inszenierungen gemacht. Kaum eine andere betrieb die Selbststilisierung dabei so erfolgreich, dass die Mächtigkeit der eigenen Ikonisierung auch noch die Werkgruppen überstrahlt, in denen gar keine Selbstbilder vorkommen ...

Als Powerfrau mit höchstem Anspruch und intuitivem Gespür für die richtigen Entscheidungen hat Sieverding die Hürden des Kunstbetriebs scheinbar mühelos genommen. Die Tochter eines Röntgenarztes begann 1963 in Hamburg Kunst zu studieren. Parallel dazu volontierte sie am Deutschen Schauspielhaus unter Gustav Gründgens bei Fritz Kortner als Assistentin für Bühnenbild bei Teo Otto. Der Kontakt zu großen Männern bestimmte auch ihren Wechsel an die Düsseldorfer Kunstakademie, wo sie ab 1967 bei Joseph Beuys studierte. Trotzdem - oder gerade deshalb – eroberte sie sich schnell einen eigenen Platz in der männerdominierten Kunstszene. Fotos aus der Zeit zeigen sie mit Sigmar Polke, Imi Knoebel, mit dem sie verheiratet war, oder ihrem Lehrer Beuys. Bereits 1972, unmittelbar nach Abschluss ihres Studiums, holte Harald Szeemann die damals 28-Jährige auf die Documenta 5. Mit anschließenden Beteiligungen an der Documenta 6 und 7 schien Sieverding auf die international wichtigste Ausstellung für Gegenwartskunst beinahe schon abonniert zu sein. Nachdem es in den malereibewegten Achtzigerjahren etwas ruhiger um sie geworden war, sorgte ihre Plakataktion „Deutschland wird deutscher“ im Nachwende-Berlin 1993 für Schlagzeilen. Der Slogan stand als Textzeile unter einem großformatigen von Messern bekränzten und diffus vermummten Selbstporträt, das für die Dauer eines Monats auf öffentlichen Werbeflächen im Berliner Stadtraum plakatiert war und auf die politische Situation nach der Wiedervereinigung Deutschlands Bezug nahm. 1997 dann wieder ein Paukenschlag: Sieverding vertritt Deutschland auf der Biennale von Venedig. Und in diesem Jahr schließlich wird die künstlerische Karriere Sieverdings pünktlich zu ihrem 60. Geburtstag mit dem Goslarer Kaiserring, einem der renommiertesten Kunstpreise Europas, gekrönt. Ende des Jahres folgt eine Retrospektive im New Yorker PS1, die 2005 in Berlin zu sehen sein soll.

Doch es gibt auch eine andere Seite der Katharina Sieverding, eine wenn man so will, „schräge“ und glamouröse Seite, die der Geradlinigkeit ihrer Karriere zunächst zu widersprechen scheint. Vor allem in ihren künstlerischen Anfängen kultivierte Sieverding eine Form des popkulturellen Grenzgängertums, das auf heutige Konzepte der Club- und Eventkultur vorausweist. So trat die junge Künstlerin während ihres Studium in den Sechzigerjahren als androgyne Kunstfigur „Karl“ in Düsseldorfer Nachtclubs auf, hatte diverse Jobs in Kirmesbetrieben und tingelte mit einem Schaustellerclan durchs Ruhrgebiet, wo sie sich allabendlich den scharfen Klingen eines Messerwerfers aussetzte oder als „leuchtende Venus“ auf der Bühne stand. Mit Perücke, wallendem Mantel, Mini und Lederstiefeln standen diese Selbstinszenierungen dem lustvollen Bohèmestil von Warhols Factory oder auch den Travestie-Charakteren in den Filmen Ulrike Ottingers näher als der Sprödigkeit der Body Art, deren selbstzerstörisches Potenzial Sieverding nie interessiert hat.

Beide Seiten, die der Kunstfigur und die der Karrierefrau, gehören zusammen und ergänzen sich komplementär. Motive aus den „wilden Jahren“ – wie etwa die Messerwurfszene – tauchen auch in späteren Arbeiten immer wieder auf. Umgekehrt hat Sieverding die Strategie der Entgrenzung in ihre fotografische Praxis übertragen, wenn sie beispielsweise in der 1992 entstandenen Serie der „Kristallisationen“ medizinische und naturwissenschaftliche Diagnoseverfahren in bildnerischen Strukturen an der Schnittstelle von Kunst und Technik visualisiert. Auch ihre spätere Auseinandersetzung mit medialen Realitätskonstruktionen und der Verführungsmacht visueller Codes bewegt sich an den Rändern des Fotografischen. Nie geht es um Realität im abbildlichen Sinn, sondern um das, was sich einer klaren Verortung entzieht und gewissermaßen im Off der Repräsentation visuell wirksam wird.

Diese Differenz zwischen Sicht- und Sehbarem kann derzeit in einer Ausstellung von neuen Arbeiten Sieverdings in der Berliner Galerie Thomas Schulte ausgelotet werden. „Visual Studies“ sind die großformatigen C-Prints betitelt (20000 bis 90000 Euro). Sie basieren auf Fotomaterial von Reisen der Künstlerin nach China und Afghanistan und sind in typisch Sieverding’scher Manier opulent bearbeitet. Aus den digital gerasterten und gepixelten, farbmanipulierten und überblendeten Aufnahmen schälen sich nur noch hier und da wiedererkennbare Details heraus. Tatsächlich spielen konkrete Referenzen auch kaum eine Rolle. Es geht eher um das Evozieren einer assoziativen Grundstimmung, die Bilder sollen das imaginäre Bildgedächtnis stimulieren. „The reality has been very different“ – dieser Titel einer Fotoarbeit Sieverdings bringt das Credo ihres künstlerischen Schaffens auf den Punkt: Nichts ist so wie es scheint, aber alles scheint im polierten Glanz ihrer hoch ästhetischen Fotografie.

Galerie Thomas Schulte, Mommsenstraße 56, bis 29. Mai; Montag bis Freitag 11–18 Uhr, Sonnabend 11–15 Uhr.

Anja Osswald

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