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Kultur: „Die Leute wissen nicht, was Apartheid bedeutet“

Hollywood-Regisseur Michael Mann über „Ali“, über amerikanische Einsamkeit und Eigensinn – und den Rassismus eines schwarzen Kollegen

Muhammad Ali ist eine weltberühmte Figur, eine lebende noch dazu. Ein Hindernis für einen fiktionalen Filmemacher?

Ja, es ist wie, wenn man einen Film über die Belagerung von „The Alamo“ macht: Jeder weiß, wie es ausgeht. Jeder kennt Ali. Darüber hinaus bedeutet er vielen Menschen sehr viel - auf jeweils verschiedene Weise. Da sagen die Leute schnell: „Du hast die falsche Geschichte erzählt. Die Kämpfe gegen Joe Frazier waren entscheidend, nicht der gegen George Foreman.“ Meine Lösung war, einen Film darüber zu drehen, was es heißt, Ali zu sein. Ich wollte das Publikum in seine Haut schlüpfen lassen.

„Ali“ ist auch viel elliptischer, anspielungsreicher als Ihre anderen Filme.

Weil wir uns auf eine Menge Vorwissen beim Publikum verlassen konnten.

Aber nicht unbedingt bei den Jüngeren.

Richtig, Amerika ist heute nicht annähernd so wie 1964. Die Leute denken, sie wissen Bescheid über Rassenvorurteile. Aber sie wissen nicht, was die De-facto-Apartheid damals bedeutete. Sie wissen, dass Ali gegen den Vietnamkrieg war. Aber sie wissen nicht, dass er dafür seine besten Boxer-Jahre opferte. Deshalb mussten wir zumindest einige dieser Informationen vermitteln.

Dass Ali gegen die Bürgerrechtsbewegung war, haben Sie allerdings außen vor gelassen.

Nicht wirklich. Seine Haltung wird doch klar durch seine Verbindung mit Malcolm X und dessen Stellung gegen die Integration. Die „Nation of Islam“ war schwarzer Nationalismus. Sie war keine gewaltlose Bewegung zivilen Ungehorsams wie die „Southern Christian Leadership Conference“ von Martin Luther King. Deswegen hat das weiße liberale Publikum auch ein Problem mit dem Film. Es würde sich gerne anders erinnern. Das enthält eine Art unbewussten Rassismus.

Der Geschichte von Malcolm X wird in „Ali" viel Zeit gewidmet. Warum?

Ich war sehr bewegt von der tragischen Beziehung der beiden Männer, die wie älterer und jüngerer Brüder zueinander waren. Auch von der Strenge des jungen Ali, der einen neuen Glauben annimmt und aus ideologischen Gründen den Mann zurückweist, an dem sein Herz hängt. Ali liebt Malcolm X, auch heute noch. Doch wohin sich Malcolm bewegte, kurz bevor er erschossen wurde – eine säkularere Einstellung, die mehr auf globale Politik ausgerichtet war –, dort kam Ali erst 1974 an. Diesen Widerspruch fand ich ziemlich verblüffend. Viele dieser Einblicke kamen von Malcolms Tochter, die sehr eng mit uns zusammenarbeitete.

Auf welche Quellen griffen Sie sonst zurück?

Wir verbrachten ein Jahr mit akademischer Forschung in der vielleicht größten Ali-Datensammlung der Welt. Wir hatten Ali selbst und drei seiner Frauen. Sein Fotograf und bester Freund Howard Bingham war ausführender Produzent. Sein Trainer Angelo Dundee stand uns für das Boxen zur Seite. Wir hatten die Biografien von David Remnick und Thomas Hauser und Norman Mailers Reportage. Und wir hatten nicht nur Leon Gasts Film „When We were Kings“, sondern zusätzliche 18 Stunden faszinierendes Material daraus.

Wie wurde Ali einbezogen?

Außer in Afrika war er überall am Set dabei. Will Smith spielte „Ali“, während Ali daneben stand.

Kein Problem für Will Smith?

Nein. Schwierig war es nur einmal, lange vor Drehbeginn, als Ali das erste Mal in die Turnhalle kam. Will Smith sah ihn an und fühlte sich herausgefordert, als „Ali“ mit Ali zu sprechen. Ali schaute sich das an. Dann drehte er sich zu Howard Bingham herum und sagte: „Wenn ich je so verrückt war, warum hast du mich dann nicht davon abgebracht?“

Die Figur Ali ist den Protagonisten Ihrer letzten Filme, „Heat“ und „The Insider“, sehr ähnlich: Sie sind Personifikationen des amerikanischen Individualismus.

Ich fühle mich angezogen von Charakteren, die den Lauf ihres Lebens selbst bestimmen. Natürlich gibt es Einflüsse des sozialen Umfelds, Kräfte, die einen an externe Werte anpassen wollen. Diese Konflikte faszinieren mich und interessieren mich auch an Ali. Der Mut etwa, mit dem er sich 1967 gegen den Vietnamkrieg aussprach. Damit lehnte er sich ja nicht nur gegen das weiße Establishment auf, sondern auch gegen das schwarze. Er muss damals der einsamste Afroamerikaner der Welt gewesen sein.

Bevor der Film herauskam, gab es eine mediale Auseinandersetzung mit Spike Lee.

Ich hatte keine Auseinandersetzung mit ihm. Er hatte Probleme, weil er Regie führen wollte.

Er behauptete, dass nur ein Schwarzer die Geschichte von Cassius Clay angemessen erzählen könne.

Das ist eine Form von Rassismus. Das würde heißen, dass nur Dänen „Hamlet“ inszenieren können. Und muss man 1750 geboren sein, um „Der letzte Mohikaner“ machen zu dürfen? Natürlich ist es alles andere als einfach, einen Film über Ali zu machen. Erst recht, wenn man andere Erfahrungen gemacht hat: Er ist Afroamerikaner, ich nicht. Doch es gibt auch Parallelen. Wir sind aus der gleichen Generation. Außerdem lebte Ali lange auch in Chicago. Ali ging 1964/65 in dieselben Bars an der South Side, in die ich 1966/67 ging. Ich glaube, wir haben es geschafft, einen afroamerikanischen Film zu machen. Das afroamerikanische Publikum mag ihn, darunter einige der strengsten afroamerikanischen Intellektuellen wie Cornell West und Dick Gregory. Und auch Ali und seine Familie mochten den Film sehr. Er hat ihn bisher siebzehn Mal gesehen.

Das Gespräch führte Julian Hanich.

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