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SEHEN: Die Liebe zum Langläufer

Einer der Höhepunkte der vergangenen Theatersaison war ohne Zweifel die 100. Vorstellung von Dimiter Gotscheffs Antiken-Inszenierung „Die Perser“ im Deutschen Theater.

Einer der Höhepunkte der vergangenen Theatersaison war ohne Zweifel die 100. Vorstellung von Dimiter Gotscheffs Antiken-Inszenierung „Die Perser“ im Deutschen Theater. Anno 472 v. Chr. uraufgeführt, gilt die Aischylos-Tragödie nicht nur als ältestes erhaltenes Drama der Welt. Sondern mit inzwischen siebenjähriger Laufzeit sind „Die Perser“ auch die betagteste Inszenierung im aktuellen DTRepertoire.

Was erst mal ziemlich stattlich klingt, relativiert sich enorm, wenn man anlässlich der Theaterferien mal einen Blick zurück in die (Ost-)Berliner Theaterarchive wirft. Der absolute DT-Spitzenreiter aller Zeiten – „Der Drache“, Benno Bessons legendäre Jewgeni-Schwarz-Inszenierung – lief sage und schreibe 580 Mal; sie blieb seit der Premiere 1965 für 16 Jahre auf dem Spielplan. Übertrumpft wurde sie innerstädtisch sogar noch von Erich Engels und Wolfgang Pintzkas Brecht-Aufführung „Schweyk im Zweiten Weltkrieg“ am benachbarten Berliner Ensemble, die zwischen 1962 und 1981 stolze 674 Mal auf dem Spielplan stand.

Und wie sah es an den anderen Berliner Theatern aus? Im Gorki oder der Volksbühne, in denen zu DDR-Zeiten werktätige Brigaden ihre staatlich verordneten Kulturbesuche dem Vernehmen nach am liebsten ableisteten? Beide Häuser, ergibt die Recherche, waren immer dann am erfolgreichsten, wenn sie das Dramatische mit dem Kulinarischen verbanden – was hier ausnahmsweise nicht metaphorisch gemeint ist. Beim unangefochtenen Volksbühnenhit „Rameaus Neffe“ nach Diderot dürften jedenfalls nicht allein die populärphilosophischen Dialoge über Kunst, Moral und Gesellschaft an der Gesamtaufführungszahl von 293 Abenden schuld gewesen sein, sondern wohl ebenso die Tatsache, dass Carmen-Maja Antoni und Hildegard Alex dazu „Weißwein, Rotwein, Kaffee und französische Tee-Eier“ reichten.

Eine gleichermaßen entscheidende Rolle spielten Alkoholika und Caféhausflair offenbar beim Gerichtshit „In Sachen Adam und Eva“, der zwischen 1970 und 1985 geschlagene 505 Mal am Maxim Gorki Theater verhandelt wurde. Sein Verfasser – der 2001 verstorbene vormalige Volkspolizist Rudi Strahl, einer der meistgespielten DDR-Bühnenautoren überhaupt – ist heute (nicht zu Unrecht) weitgehend unbekannt: Nur alle Jubeljahre gräbt eine Bühne, vor wenigen Tagen etwa das Anhaltische Dessau, mal eine Komödie von ihm aus. Am Maxim Gorki Theater indes war fünfzehn Jahre lang an nichts so schwer heranzukommen wie an Eintrittskarten für „Adam und Eva“: Die Menschen standen am ersten Vorverkaufstag schon drei Stunden vor Kassenöffnung, morgens um sechs, derart zahlreich Schlange, dass die weichherzige Kantinenchefin extra früher zur Arbeit kam und im Akkord Kaffee kochte. Wer schriftlich vorbestellte, musste im Schnitt zwei Jahre warten. Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass Kultur eben doch eine Marginalie ist: Bis man in der DDR einen Trabi bekam, dauerte es fast zehnmal so lange.

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