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Kultur: Die Liebe zur Geometrie

Wettbewerb (2): Cedric Kahns „Feux Rouges“

Das Letzte zuerst: Wenn Sie sich diesen Film anschauen, benutzen Sie hinterher unbedingt öffentliche Verkehrsmittel. Sie werden nicht mit dem Auto nach Hause fahren wollen, schon gar nicht nachts. Denn Sie haben eine Reise hinter sich, die Ihnen in den Knochen steckt: mit einem Alkoholiker hinterm Steuer, der viel zu schnell fährt, unaufmerksam, aggressiv, übermüdet. Er ist ständig zu dicht aufgefahren, hat Ihnen gefährliche Überholmanöver zugemutet und ist schließlich im Straßengraben gelandet.

Sommerferien in Frankreich. Antoine und Hélène sind auf dem Weg von Paris nach Bordeaux, um die Kinder im Ferienlager abzuholen. Cedric Kahn hat „Feux Rouges", nach Georges Simenons Roman von 1953, in die Gegenwart verlegt und der Geschichte neue Wendungen verpasst. Antoine und Hélène, das sind Jean-Pierre Darroussin und Carole Bouquet. Ein gehetzter Mann mit kaltem Schweiß auf unreiner Haut, eine strenge, verbitterte Frau. Sie sitzen im Rover, schweigen und streiten sich. Eine eisige Ehe. Stau auf der Autobahn, also runter auf die Nationalstraße, aber da ist es auch nicht besser. Ständig diese Rücklichter. Der Mann hält an, geht einen trinken, kippt Whisky auf Ex.

Es kommt noch schlimmer. Hélène verschwindet, Antoine nimmt einen entflohenen Häftling mit, kurzzeitig fast ein Komplize, denn auch das Trinken ist ja ein Ausreißen. Aber Cedric Kahn ist ein gnadenloser Regisseur. Also wird es einen brutalen Totschlag geben, Alpträume, kaltes Erwachen und eine panische Telefon-Odyssee auf der Suche nach Hélène. Antoine wird sie im Krankenhaus wiederfinden, eine Traumatisierte, steril gebettet. Ihre Horrornacht wird mit der seinen tragisch verbunden sein – und das Ehepaar umarmt sich. Wie bitte? Frau und Mann versöhnen sich, weil genügend Gewalt im Spiel war? Das kann nicht Kahns Ernst sein, ist es doch blanker Zynismus.

Seltsam, die Franzosen im Berlinale-Wettbewerb: Sie konstruieren Geschichten mit angeklebtem Happy-End, schicken ihre Figuren in perfekte Versuchsanordnungen und verbieten ihnen jede Lebenslust, als sei Filmemachen eine Frage der Mathematik und das Kino eine freudlose Kunst. Mal sehen, ob Eric Rohmer, dessen „Triple Agent“ am Freitag zu sehen sein wird, Patrice Leconte und Cedric Kahn Lügen straft.

Der Anfang zuletzt: Das erste Bild von „Feux Rouges“ zeigt eine schöne, aufgeräumte Welt. Die Geometrie der Großstadt, Grünflächen aus der Vogelperspektive, ordentlich wie Teppichmuster. Ein paar Musikfetzen aus Debussys „Nuages“ sorgen für Stimmung. Genießen Sie den Anfang! Danach wird es finster.

Heute 12 Uhr und 21 Uhr (Royal Palast)

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