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Das Konzerthausorchester Berlin.

© Konzerthaus Berlin

Mahlers 2. Sinfonie im Konzerthaus: Die Lust an der Angst

Weltgetümmel, frommes Brimborium und brutale Fortissimo-Attacken: Das Konzerthausorchester und Iván Fischer spielen Mahlers 2. Sinfonie.

Als der Chor einsetzt, der Tschechische Philharmonische Chor Brno, wendet sich plötzlich das Blatt. Am Ende dieses Mammut-Finalsatzes in dieser Mammut-Sinfonie, die 90 Minuten dauert und mit ihrem Weltengetümmel und frommem Brimborium, den brutalen Fortissimo-Attacken, den mal überzuckerten, mal satirisch verzerrten Volkston-Idyllen und eskapistischen Naturlautmalereien alles aus Gustav Mahlers Universum entfesselt, setzen die 70 Choristen seelenruhig ein. Sie bleiben sitzen, oben auf der Orgelempore im Konzerthaus, singen piano, vibratolos, lupenrein und doch sehr sonor, ein ferner Klang wie von einem anderen Stern.

Es ist nicht leicht mit diesem apokalyptischen fünften Satz von Mahlers 2. Sinfonie, der Auferstehungs-Sinfonie, die in Berlin erst vor wenigen Tagen auch vom Jungen Ensemble in der Philharmonie aufgeführt wurde. Die herrischen Trompetenrufe des Jüngsten Gerichts, das liebeswahnsinnige Duett der Solistinnen (Elisabeth Kulman, Christina Landshammer), die religiöse Verzückung einer nach der anfänglichen „Todtenfeier“ beschworenen Auferstehungsgewissheit bis zur Apotheose mit Fernorchester, Röhrenglocken und großem Tam-Tam sind uns modernen Zeitgenossen eher fremd. Aber die schiere Schönheit des Chorgesangs bringt zum Ausdruck, dass Mahlers verzweifelte Utopie samt „Urlicht“-Beschwörung im Riesenkollektiv von Sinfonik und Gesang auch etwas sehr Intimes verhandelt: die Angst angesichts des Terrors der Welt. Da wird die Zweite sehr aktuell.

Das Konzerthausorchester und sein Chefdirigent Iván Fischer betonen denn auch die Bangigkeit, die schon die zackigen Streicherfiguren im Kopfsatz grundiert. Der Alternative, das 1895 uraufgeführte Werk entweder meditativ oder aggressiv anzulegen, verweigert sich Fischer. Er wählt ein mittleres Tempo, drosselt die Dynamik, um die mörderischen Dissonanzen dann als Umschlag der Furcht in die Panik zu kennzeichnen. Die rhythmische Präzision lässt mitunter zu wünschen übrig. Unentwegt künden die Staccati und Pizzicati von einer verlorenen Identität, vom verdrängten Wissen um die eigene Sterblichkeit. Am schönsten ist das aus dem Wunderhorn-Lied von Antonius’ Fischpredigt hervorgegangene Scherzo, bei dem das Orchester die Farce über die Unbelehrbarkeit des Menschen mit feinen Ritardandi und selbstironischen Spitzen abschmeckt. Langer, begeisterter Applaus.

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