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Kultur: Die Macht der Nacht

In der Galerie C/O Berlin zeigen drei Enthusiasten Fotokunst von alten und neuen Meistern

Als sich das junge Mädchen zu dem alten Mann setzte, war der alte Mann nicht nur ziemlich berühmt, sondern offensichtlich auch recht desinteressiert. Das junge Mädchen dagegen hatte gute Laune, war aber komplett unbekannt. Ein Zustand, der nicht mehr lange andauern sollte. 1984, das Jahr, in dem dieses Foto von William S. Burroughs und seiner Tischnachbarin in einem New Yorker Nachtclub gemacht wurde, war das Jahr, da Louise Ciccone ihr Album „Like A Virgin“ herausbrachte, sich damit in die internationalen Charts katapultierte und unter ihrem Künstlernamen Madonna innerhalb kürzester Zeit zum Megastar aufstieg.

Ähnlich kometenhaft, wenngleich in einer ganz anderen Umlaufbahn, verlief die Karriere des Urhebers dieses Bildes. Wolfgang Wesener, der sich als Fotograf wowe nennt, war 24 Jahre alt, als er Anfang der Achtziger von Köln nach New York umzog. Um sich dort über Wasser zu halten, arbeitete er anfangs als Dekorateur und Mädchen für alles im „Area“, damals einer der angesagtesten Clubs der Stadt. Eines Abends erschien Boy George auf der Bildfläche, der Hausfotograf war gerade nicht anwesend, und Wesener hatte seine Leica dabei. Glück für ihn, denn dieses eine Foto veränderte sein Leben. Ab dem Zeitpunkt machte er die Fotos im Area und an anderen In-Plätzen New Yorks wie dem „Limelight“, dem „Palladium“ oder dem „Tunnel“.

Es war die Zeit, die später die „Golden Years“ genannt wurde, weil es in den USA und gerade in New York wirtschaftlich scheinbar unaufhaltsam bergauf ging; weil der Kunstmarkt boomte und die Musikbranche explodierte; weil Aids die Menschen noch nicht hinwegraffte. Kurz: weil genug Geld und Unbeschwertheit da waren, um zu feiern und von einer Party zur nächsten zu ziehen, um witzig, klug und schön zu sein – oder wenigstens so zu wirken.

Und Wesener hatte sie alle vor der Kamera, vielleicht weil er immer so nett fragte: „Please may I take your picture?“ Die Prominenten, Halb- und Gar-nicht-Prominenten, die berühmten Junkies und extravaganten namenlosen Verrückten, für die die Nacht den Tag bedeutete. Viele davon sind heute nicht mehr am Leben, die Maler Keith Haring und Jean Michel Basquiat zum Beispiel oder Miles Davis oder Andy Warhol. Um andere wiederum ist es irgendwie sehr still geworden, vor knapp zwanzig Jahren aber waren Billy Idol, Grace Jones und Lou Reed die Stars. So kommen sie hier noch einmal zurück, die Achtzigerjahre, die im Moment ohnehin ziemlich groß in Mode sind.

Trotzdem wäre diese Ausstellung wohl nicht in Berlin zu sehen, hätten nicht drei Foto-Enthusiasten vor einiger Zeit beschlossen, eine eher ungewöhnliche Initiative zu gründen. Die Galerie C/O Berlin nennt sich nicht ohne Grund auch „kulturelles Forum für Fotografie“, denn sie ist keine kommerzielle Galerie. Die Bilder, die dort ausgestellt werden, kann man nicht kaufen. Aber man kann darüber reden, das Auge schulen, Klassiker mit Newcomern vergleichen.

Dass dieser Ort entstanden ist, war Zufall beziehungsweise ein Produkt der Gunst der Stunde. Und wäre ohne das Engagement des Fotografen Stephan Erfurt, des Designers Marc Naroska und eben des Architekten Ingo Pott nicht denkbar gewesen. Doch damit es dazu kam, mussten ein paar sehr unterschiedliche Dinge geschehen, und das mehr oder weniger gleichzeitig. Stephan Erfurt musste einen seiner Hauptauftraggeber verlieren, daraufhin „erst mal in ein tiefes Loch fallen“ und plötzlich viel Zeit haben. Ingo Pott musste für den Architekten Sir Norman Foster den Bau der Kuppel auf dem Reichstag organisieren, was die Produktion eines Buches einschloss, was wiederum die Beschäftigung eines versierten Fotografen nötig machte. Und zur selben Zeit musste sich Marc Naroska entschließen, aus London, wo er Pott kennen gelernt hatte, in seine Heimatstadt Berlin zurückzukehren, um die Vertretung eines britischen Designbüros zu übernehmen.

Irgendwann trafen sich die drei und stellten fest, dass sie eines gemeinsam hatten: die Lust am interdisziplinären Arbeiten. Aber das allein genügte nicht. Bevor C/O Berlin wirklich gegründet werden konnte, musste auch noch die New Economy zusammenbrechen. Denn eigentlich sollte nach dem Umbau des Hauses, den im Übrigen Ingo Pott erledigte, ein Start-Up-Unternehmen in das Haus in der Linienstraße 144 einziehen. Doch daraus wurde dann nichts, und so waren unversehens etliche Quadratmeter frei, um eine schöne Idee umzusetzen. Oder auch um aus der Not eine Tugend zu machen: Seit immer mehr Zeitschriften und Magazine auf aufwändige Fotoreportagen verzichten, bleibt vielen Fotografen auf der Suche nach Möglichkeiten der Veröffentlichung nur der Weg in die Galerien.

Angefangen hatte C/O Berlin mit einer großen Ausstellung von Werken von Mitarbeitern der renommierten Agentur Magnum, damals noch im Postfuhramt an der Oranienburger Straße. Zwei weitere Ausstellungen folgten, einmal mit Bildern des Briten Martin Parr, einmal mit Werken des vor wenigen Jahren verstorbenen Klassikers Alfred Eisenstaedt. Alle drei Ausstellungen wurden große Publikumserfolge, was Erfurt, Naroska und Pott dazu animierte, ihrer Leidenschaft ein festes Gehäuse zu verpassen.

Finanziert wird C/O Berlin ausschließlich durch Sponsoring, durch Eintrittsgelder und die Vermietung des futuristischen Dachgeschosses. Dort finden seit neuestem auch so genannte Lectures statt. Die Premiere bestritt der Architekt Daniel Libeskind, der mit zwei weiteren Gästen über die Entwürfe für die Neugestaltung von Ground Zero diskutierte. Der Andrang in der C/O-Lounge war so groß, dass das Gespräch zusätzlich in den Ausstellungsraum darunter übertragen werden musste. Und mittlerweile hat sich auch unter den übrigen Fotogaleristen Berlins herumgesprochen, dass C/O Berlin ein angenehmer Treffpunkt sein kann. Dabei ist es durchaus von Vorteil, dass die drei Organisatoren aus ihrer Galerie kein Geschäft machen wollen. „C/O Berlin ist ein neutraler Ort“, sagt Stephan Erfurt. „Deswegen kommen die Kollegen auch gerne zu uns. Weil wir keine Konkurrenz sind.“

C/O Berlin, Linienstraße 144, täglich 11–19 Uhr. Die Ausstellung von wowe wird heute Abend um 19 Uhr eröffnet und ist bis zum 16. März zu sehen.

Ulrich Clewing

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