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Hinter Gittern: Einst einer der reichsten Männer der Welt, wird Michail Chodorkowski auf absehbare Zeit in einer Strafkolonie einsitzen. Seine Unterstützer befürchten, dass er nie wieder rauskommt.

© farbfilm verleih

Doku: Die Macht wird gegen dich sein

Vom Öl-Magnaten zum Staatsfeind Nr. 1: Cyril Tuschis Dokumentarfilm „Der Fall Chodorkowski“.

Als deutsche Steuerfahnder unlängst eine CD mit Kundendaten einer Schweizer Bank auswerteten, machten sie einen bemerkenswerten Zufallsfund: Neben den Namen deutscher Steuerbetrüger fand sich auch jener Michail Chodorkowskis. Der einstige Ölkonzernchef und heute prominenteste Häftling in Putins Russland hat rund 15 Millionen Euro bei der Bank deponiert. Ein Verfahren wegen Geldwäsche, hieß es, wurde eingeleitet.

Ist das nun das Ende der Legende von der politisch verfolgten Unschuld, die seit nunmehr acht Jahren in Russland einsitzt, wird da definitiv die Vita eines nicht ganz gewöhnlichen Steuerkriminellen festgeschrieben? Auch manche deutsche Feuilletonisten, die derzeit über Cyril Tuschis Dokumentation „Der Fall Chodorkowski“ nachdenken, haben offenbar genug davon, dass da ein böser Kapitalist immer noch ungeniert die Menschenrechtskarte zieht. Allerdings ist einstweilen nicht völlig auszuschließen, dass der einst auf 15 Milliarden (!) Dollar Privatvermögen geschätzte Ex-Oligarch den für seine Verhältnisse schlichten Betrag regulär angelegt hat. Zumal das Konto, nicht gerade üblich in der Szene, auf seinen Klarnamen lief.

Schillernd bleibt die Figur Chodorkowski allemal, und faszinierend schillert sie auch im Porträt des deutschen Dokumentarfilmers mit russischen Familienwurzeln. Wer ist dieser Chodorkowski, der mit Mitte zwanzig, als die Sowjetunion zusammenbrach, erst zum Banker, dann bald zum Chef der Mineralölfirma Yukos wurde? Wer ist dieser Mann, der als Unterstützer der Opposition den Präsidenten Putin provozierte – und öffentlich genau jene Korruption anprangerte, deren Nutznießer er in den wilden Wendejahren noch selber gewesen war? Ein Hasardeur, ein machtverblendeter Gesellschaftsveränderer, ein spätberufener Idealist mit Neigung zum Märtyrertum?

Wohl von allem etwas – darauf jedenfalls deutet das Patchwork der Analysen hin, die Cyril Tuschi in fünfjähriger Recherchearbeit bei Chodorkowskis Verwandten, bei politischen Beobachtern und ins Exil geflüchteten Yukos-Managern zusammengetragen hat. Am meisten aber interessiert ihn die Frage, warum Chodorkowski im Herbst 2003 sogar noch nach der Verhaftung seines Vize Platon Lebedew von einer USA-Reise nach Russland zurückkehrte und damit sehenden Auges seine eigene Festnahme heraufbeschwor. Er kann sie so wenig beantworten wie Chodorkowski selber, den er 2009 beim zweiten Prozess im Moskauer Gerichtssaal kurz interviewen darf. Chodorkowski hält sich lieber an ein russisches Sprichwort: Ein kluger Mensch findet immer einen Ausweg aus einer schwierigen Lage, ein weiser begibt sich gar nicht erst hinein.

Schafft es der Film, Chodorkowskis Motive zu ergründen? Lesen Sie mehr im zweiten Teil.

Mag sein, dass Tuschis Film von seiner durchaus dissonanten Quellenlage selber auch ein wenig angesteckt wurde. Dennoch formt sich bei genauem Hineinhören und Zuschauen eine konturierte Persönlichkeitsstruktur heraus – die eines selbstbewussten Unternehmers, dem der von einem untergehenden System zugeschobene Reichtum unheimlich wurde, weshalb er eines Tages die Moral entdeckte. Oder zumindest gesellschaftliche Verantwortung und Gestaltungslust. Dabei übersah Chodorkowski in seiner spätjugendlichen Eile, dass die Verhältnisse im Land längst wieder versteinerten. Und dass ihm in Wladimir Putin ein Gegner erwachsen war, der dem charismatischen Wirtschaftsmann mit den gefährlich politischen Ambitionen nur eine Falle zu stellen brauchte.

Seine Verhaftung damals hat Chodorkowski – das wird auch aus einmontierten Fernsehinterviews jener Zeit deutlich – mutig und klarsichtig in Kauf genommen. Wobei er nicht absehen konnte, wie schmerz- und dauerhaft das Opfer werden würde, wie flink und geschickt der Staatsapparat Yukos zerschlug und seine Leute inhaftierte oder in die Flucht trieb. Inzwischen dürfte – egal welche weiteren Vorwürfe gegen ihn erhoben werden – seine Haft wohl mindestens so lange dauern, wie sein Erzfeind Putin, der nächstes Jahr ins Präsidentenamt zurückdrängt, am Ruder bleibt. Unlängst zeigte sich auch sein in New York lebender ältester Sohn Pawel in einem Interview pessimistisch. „Putin wird alles in seiner Macht Stehende tun, um meinen Vater hinter Gittern zu halten.“

In dem höchst spannenden und unaufdringlich lehrreichen Film, der seine mit Animationssequenzen und gelegentlicher Musik hinzugefügten ThrillerElemente gar nicht nötig hat, kommt auch Pawel erhellend zu Wort – vor allem in den letzten Erinnerungen an den Vater, den er seit der Verhaftung 2003 nicht mehr gesehen hat. Aus deutscher Sicht aufschlussreich sind zudem die Szenen mit den Rot-Grün-Denkmälern jener Zeit: Elder Statesman Joschka Fischer gibt im Rückblick abgeklärt und überzeugend den pragmatischen Machtanalytiker, und Gazprom-Lobbyist Gerhard Schröder macht in einem übel pointenlustigen Podiumsauftritt schon als Kanzler exakt die Marionette Putins, die er heute ist.

Central, Eiszeit, Kant, Kulturbrauerei, Krokodil und Rollberg.

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