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Die Premiere von "Eugen Onegin" wurde vor der Met live übertragen.

© AFP

Die Metropolitan Opera und die Schwulen in Russland: Putins Liebe zu Tschaikowsky

Am Montag sang Anna Netrebko an der Metropolitan Opera in New York in der Premiere von Tschaikowskys "Eugen Onegin". Es gab Proteste: Weil die Oper sich nicht mit den Homosexuellen in Russland solidarisiert, die unter drastischen Strafen zu leiden haben, und weil Netrebko eine gute Freundin Putins ist.

Und dann passiert es doch. Noch vor Beginn der Premiere von Tschaikowskys „Eugen Onegin“ an der Metropolitan Opera brüllt ein Demonstrant vom Balkon, weil die Met den Abend nicht den Schwulen und Lesben in Russland gewidmet hat. Das neue Anti-Homosexuellen-Gesetz von Wladimir Putin stellt jede Äußerung zur Homosexualität vor Minderjährigen unter Strafe. US-Aktivisten wollten die Leitung der Met mit einer Online-Petition dazu bringen, sich mit den Verfolgten zu solidarisieren. Vergeblich.

Kritisiert wurde auch die Besetzung. Anna Netrebko, eine bekennende Freundin von Putin, singt die Tatjana, Valery Gergiev, der sich vom russischen Präsidenten auf Staatsempfängen hofieren und mit goldenen Orden auszeichnen lässt, dirigiert. Auch die Person des Komponisten bietet Anlass zur Streit. Russland dementiert strikt, dass Tschaikowsky schwul war, obwohl die meisten wissenschaftlichen Studien genau dies nahelegen. Ganz New York hat bis zur letzten Sekunde diskutiert, ob sich die Met unter Direktor Peter Gelb noch zu einer Solidaritätsbekundung hinreißen lässt – auch, weil viele Mitarbeiter des Hauses offen schwul leben.

Die Inszenierung selbst gilt als skandalträchtig. Deborah Warner musste die Regie wegen einer Operation an ihre Assistentin Fiona Shaw abgeben, die aber hatte ein Engagement am Glyndebourne Festival und konnte zu vielen Proben nicht erscheinen. Eine Unentschlossenheit, die man dem Abend ansieht. Anna Netrebko enttäuscht. Nicht, dass sie die liebende, leidende Tatjana nicht überzeugend verkörpern könnte. Mit 41 darf sie sich an Rollen jenseits des Süßen und Koketten wagen. Was ihr fehlt, sind Tiefe, Größe, dramatische Kraft. Die Stimme wirkt filigran, aber nicht verzweifelt genug, um bis in die letzte Reihe vorzudringen. Mariusz Kwiecien dagegen singt den Onegin ausdrucksstark, mit solider stimmlicher Schärfe. Er bezirzt Tatjana aus reiner Freude an der Herausforderung, für sie als Individuum interessiert er sich nicht. Wählte Tschaikowsky deshalb den Puschkin-Stoff? Um seine Homosexualität und sein Desinteresse am anderen Geschlecht zu verarbeiten? Dies legt das Programmheft nahe, so mutig immerhin ist man an der Met.

Obwohl die Stadt seit Wochen mit Plakaten von Netrebko und Kwiecien tapeziert ist, gehört der Abend Piotr Beczala, der Lenski mit glasklar-bestechendem Ausdruck singt. Seine letzte Arie ist herzergreifend, stimmlich sicher und emotional überzeugend: Höhepunkt des Abends. Also alles gut? Peter Gelb jedenfalls ist zufrieden: „In ihrer 129-jährigen Geschichte hat die Metropolitan Opera keine einzige Inszenierung einer politischen oder sozialen Sache gewidmet, egal wie wichtig oder gerecht sie auch scheinen mag. Wir haben immer durch die Kunst gesprochen.“

Am 5. Oktober um 19 Uhr wird die Inszenierung live in den Berliner Cinestar-Kinos Potsdamer Platz, Cubix Alexanderplatz, Tegel und Kulturbrauerei übertragen.

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