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Kultur: Die Nachahmung überholt das Original

Eine Reise durch südostasiatische Metropolen: Der Westen wird geklont und oft übertrieben, und es entsteht eine Hybridkultur VON ROBERT VON RIMSCHAEine kränkelnde Disco in Hongkongs Amüsierviertel "Lan Kwai Fong" sann jüngst nach Wegen, wie mehr Jugendliche an die Bar und auf den Tanzboden gelockt werden könnten.Jetzt hängt quer über der Straße eine Leuchtreklame mit der Aufschrift: "Yes Club - Disco with Berlin style Karaoke.

Eine Reise durch südostasiatische Metropolen: Der Westen wird geklont und oft übertrieben, und es entsteht eine Hybridkultur VON ROBERT VON RIMSCHA

Eine kränkelnde Disco in Hongkongs Amüsierviertel "Lan Kwai Fong" sann jüngst nach Wegen, wie mehr Jugendliche an die Bar und auf den Tanzboden gelockt werden könnten.Jetzt hängt quer über der Straße eine Leuchtreklame mit der Aufschrift: "Yes Club - Disco with Berlin style Karaoke." Karaoke a la Berlin? Das Playbacksingen gilt in Deutschland nicht als dominierende Kunstform.Die Betreiber des Yes Club verstehen den Einwand nicht.Sich mit dem Etikett des Fremden zu schmücken, dient in Asien eben nicht der Wahrheitsfindung, sondern der Aneignung.Berlin ist gut. Asiens Liebe zum Westen mag eine Haßliebe sein, die Liebesbezeugungen sind aber sichtbarer als ihr Gegenteil.Es mag die Zwiespältigkeit, die Mischung aus Distanz und unbekümmerter partieller Übernahme von Moden, Worten, Stilen sein, die Europa den Umgang mit Asien so schwer macht. Das Klischeebild ist klar.Die Asiaten.Die Gelben.Die Gefahr.Asien, die Chiffre für Kollektive, die als Amöbe daherkommen und in sich hineinfressen, was sie haben wollen.In Zeiten der Sozialkürzungen, der schärfer werdenden Verteilungsdebatten und der Unsicherheit angesichts des Zustandes der europäischen Sozialstaatsmodelle ist der Blick auf Ost- und Südostasien ein zaudernder, bestenfalls verblüffter.Er erfaßt jedoch nur einen kleinen Teil Ostasiens.Ohne protestantisches Arbeitsethos herrscht nur dort in Asien, wo chinesischer Konfuzianismus oder japanische Familien- und Staatstreue dominieren, die gefürchtete Arbeitswut.Nicht zufällig sind es chinesische Wirtschaftseliten, die in Thailand, auf den Philippinen oder in Indonesien Wohlstand und Statussymbole akkumulieren.Ansonsten sind die Werte andere. In Indonesien arbeitet nur ein Fünftel der arbeitsfähigen Bevölkerung in organisierten Arbeitsverhältnissen.Hier wie in den klassischen "Tiger"-Staaten hat die Allgegenwart westlicher Konsumgüter eine Hybridkultur gezeugt, die für die Zukunft Südostasiens weit wichtiger ist als das oben skizzierte Schreckgespenst einerseits und das archaische Zeitverständnis der Balinesen, ein bevorzugter Forschungsgegenstand von Ethnologen und Anthropologen, andererseits.Die Kosmetikabteilungen südostasiatischer Großkaufhäuser stehen voller Wella-, Gard- und Schwartzkopf-Produkte, Populärmusik kommt von "MTV Asia".Angesagte Orte des Nachtlebens sind teure Lokale nach dem "Hard Rock Cafe"- und dem "Planet Hollywood"-Muster: alles möglichst weit weg vom originalen Osten, garniert mit Versatzstücken aus dem Westen, kreolisierte Kultur mit eindimensionaler Ausrichtung. Wer amerikanische Comic-Helden aus den 60er Jahren nicht kennt, wird von jüngeren Asiaten abschätzig beäugt.Asiatische Jugendliche sind über die Privata amerikanischer Popstars oder europäischer Supermodels besser unterrichtet als die meisten Primär-Partizipanten westlicher Konsum- und Populärkultur.Status, in Asien ungebrochener als im Westen an sichtbaren Produkten festgemacht, bemißt sich im Ausmaß der Behängung mit Chanel, Versace oder Dolce & Gabbana. Der Kulturkampf zwischen Asien und dem Westen gerinnt zum völligen Unverständnis, wenn sich Käufer in den Begegnungszonen gegenüberstehen.In Touristenorten Südostasiens kauft der Europäer Batik oder einheimischen Schmuck.Der Einheimische verachtet den Dschungel-Ramsch und wünscht sich Esprit oder Moschino. Wie aber kann man besitzen, was teuer ist, wenn man nicht verdient? Die 80 Prozent arbeitsfähiger Indonesier, die nicht arbeiten, teilen den Wohlstand anderer, meistens ihrer Familien.In Asien ist nicht ehrenrührig, was in Europa spätestens seit der Dominanz der Kleinfamilie eine - zumindest auf Dauer - nicht akzeptable Form der Lebensführung wäre: das Sich-Aushalten-Lassen.In Asien zählt das Statussymbol, die Herkunft ist zweitrangig.Kultur im raschen Wandel gefährdet die Stabilität von Identität.So gibt es derzeit wohl in keiner Weltgegend mehr Menschen zwischen 20 und 30, die mit der Erfindung neuer Biographien auf erlebte Umbrüche reagieren, als in Südostasien.Der eigene Name, der Wohnort, die Familie, der Beruf, so es ihn gibt: alles wird zur Fiktion, gemessen an Moden und Trends, zum maßgeschneiderten Accessoir.Jeder zweite in Nachtklubs in Kuala Lumpur oder Jakarta behauptet, er stamme aus Singapur - weil Singapur am reichsten und daher am besten ist.Stimmen tut dies fast nie.Man umgibt sich mit der Aura, damit ein wenig Glanz abfällt.Ein Arzt aus der Schweiz, der auf Bali lebt, nennt dies die "culture of bullshitting", die "Kultur des Verarschens". Von den jungen Star-Schauspielern der indonesischen Erfolgs-Soap-Operas wie den Serien "Denpasar Moon", "Shangri-La" oder "Mody Juragan Kost" weiß man, daß einige Nobel-Prostitution und Familienfernsehen für vereinbar halten.In Gesellschaften des unhinterfragten Materialismus und Konsums ist auch der Selbstverkauf der ursprünglichsten Art eine Verhaltensweise, die natürlich soziale Tabus bricht, aber dennoch praktikabel ist.Status, Ergebnisse, Quantitäten zählen, etliche der abendländischen Grenzziehungen mit Namen Moral existieren dagegen nicht. Ein britischer Diplomat, der kürzlich erstmals in Hongkong war, sagte nach zwei Tagen: "Hongkong ist keine Stadt.Dies ist ein riesiges Einkaufszentrum." Nun haben die Hongkong-Chinesen auf ihrem Felsen im Meer kaum Platz, um beispielsweise dem Sport als Hobby frönen zu können.Dies mag die Totalität des Werterasters "Einkaufen" ein wenig erklären.Doch die Absurditäten sprechen für sich.Auf der Festlandsseite Hongkongs, in Kowloon, liegt eine enge Straße namens "Tung Choi Street".Es ist die Straße der Buden und fliegenden Händler, der Markenpiraten.Aus den Disco-Klamotten der Italiener von Dolce & Gabbana, abgekürzt stets D&G, wird auf Imitaten minderer Qualität auch einmal "B&G" oder "C&G".Die Chiffre verselbständigt sich jenseits ihrer eigenen Original-Treue.Die Erinnerung an das westliche Original reicht. Immer wieder präsentiert Ostasien denselben Satz: Eine Bar ist gerammelt voll.Warum? "Weil sie neu ist", sagt ein Chinese.Eine modische Sonnenbrille eines unbekannten Designers trägt ein exorbitantes Preisschild.Warum so teuer? "Weil der Designer neu ist." Neu ist gut.Während in Deutschland die Ideologiedebatte über die Moral des Computers verebbt und sich als Nachhutgefecht der Handy-Witz als verklemmt-verschämter Ersatz-Anti-Modernismus hält, organisiert Hongkong eine perfekte U-Bahn - mit Zügen im Minutentakt, mit auf den Bahnsteigen aufgezeichneten Wartezonen für Einstiegswillige und für ein Publikum, das Handys ohne Reue tragen darf. In manchen Bereichen berührt sich die Vielfalt Asiens in den Extremen.Von Räumlichkeit beispielsweise hat der riesige Kulturen-Raum alles andere als eine einheitliche Vorstellung.Enge und Gedränge, in Europa meist mit Asien assoziiert, mag für Hongkong gelten.Dort besteht das Ausgehviertel im wesentlichen aus einer einzigen, von Menschentrauben besetzten kleinen Straße, die mit Knick den Berghang emporstrebt.Wer in Jakarta dagegen die Auskunft bekommt, der gesuchte Ort liege gleich ums Eck, muß sich auf eine 20minütige Fahrt über Autobahnen, Rampen und Überführungen einstellen.Jakarta ist Südostasiens drastischster Versuch, der traditionellen Enge eine Weite entgegenzusetzen, die selbst Los Angeles verblassen läßt. Asiatische Kultur ist weit weniger am Bewahren alter Tempel und Familien orientiert, als Europa es häufig vermutet.Anpassung bis zum Absorbieren begleitet und schwächt die Eigenständigkeit.Der neueste Techno-Mix aus Berlin oder London läuft keine Woche später in Malaysia oder Thailand.Und der Asiate, der nach Europa kommt, stellt verwundert fest, daß das Original viel weniger original ist als gedacht. Neuere Literatur zum Thema: John Burdett: Die letzten Tage von Hongkong (Roman).Karl-Heinz Ludwig: Die Rückkehr des Drachen - Countdown in Hongkong.Adam Schwarz: A Nation in Waiting - Indonesia in the 1990s.Sterling Seagrave: Die Herren des Pazifik - Das unsichtbare Wirtschaftsimperium der Auslands-Chinesen.Sabine Stahl/Ulrich Mihr (Hrsg): Die Krallen der Tiger und Drachen - Wirtschaftsboom und Selbstbewußtsein in Asien.Michael Vatikiotis: Indonesian Politics under Suharto.Frank Viviano: Depeschen aus dem pazifischen Jahrhundert.

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