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Kultur: Die Nacht der langen Haare

Hippies in der DDR: Filmgespräch im Zeughauskino

Was für ein Andrang. Wie bei einem Rockkonzert. Da drängeln sich mehr als 250 Menschen, teils älteren Semesters, mit langen Haaren und Bärten, vor dem Deutschen Historischen Museum und verlangen Einlass ins Zeughauskino. Dessen Saal fasst jedoch nur 160 Zuschauer. Ein Mitarbeiter der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur verweist hilflos auf einen späteren Aufführungstermin. Man habe nicht mit so einem Interesse gerechnet, gibt er zu, nicht bei diesem Thema. „Wittstock statt Woodstock – Hippies in der DDR“, so der Titel des Films, der die Massen anzieht. „Ich war in den achtziger Jahren Teil der Blueser-Szene“, begründet ein 36-Jähriger, der nicht reinkommt, sein Interesse. „Wir waren das Gegenstück zum beschissenen DDR–Militarismus, wir waren die Mutigen.“

Und sie waren die Schmuddelkinder der DDR, glaubt man dem Bild, dass die Dokumentarfilmer Lutz Rentner und Frank Otto Sperlich von den Ost-Hippies zeichnen. Sie trugen lange Haare, Bärte und Bundeswehrparkas. Sie „druckbetankten“ sich mit Bier und dem Schachtschnaps der Bergarbeiter. Sie waren herausfordernd-lässig und wollten die „Arsch-an- die-Wand-Typen“ provozieren. Sie nannten sich Kunde oder Blueser und hörten Westmusik, von der es hieß, dass sie Flügel schenke. Sie trampten in einem Jahr 40 000 Kilometer durch die DDR, nahmen sich diese Reisefreiheit. Denn sie lebten in einem kleinen Land, aber sie fühlten groß. Vom Staat wurden sie drangsaliert, von der Bevölkerung verachtet und im Westen nicht bemerkt.

In Ausschnitten aus den Super-8-Aufnahmen ihrer Protagonisten und aus Observierungsfilmen der Stasi erzählt die Dokumentation von einer Szene, die im Osten erst Mitte der siebziger Jahre zusammenfand – als im Westen die Punks schon längst ihren Hass auf die Hippies herausschrieen. Man scharte sich um Gruppen wie Engerling, Freygang oder Electra, die Westbands kopierten. Die Konzerte fanden in Kuhdörfern statt. Die kleinen Veranstaltungshallen glichen hinterher Schlachtfeldern.

Der Film konzentriert sich auf solche Episoden, der politische Kontext wurde in der anschließenden, lebhaften Podiumsdiskussion geklärt. Denn obwohl die Kunden in den achtziger Jahren zu Tausenden in die Bluesmessen des oppositionellen Pfarrers Rainer Eppelmann strömten, waren sie doch keine politische Opposition, wie der Historiker Ilko Kowalczuk einschränkt, sondern eine hedonistisch orientierte Gegenkultur, die der Staat nicht wirklich fürchtete, wohl aber im Griff hatte. Der Sänger der Gruppen Electra und Lift, Stephan Trepte, erinnert sich daran, dass jede Band von Spitzeln unterwandert war. „Die mit den längsten Haaren waren die von der Stasi“, ergänzt die Zeitzeugin Antje Pfeffer. lich

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