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Khatia Buniatishvili.

© Haase/Sony Classical

Die Pianistin Khatia Buniatishvilii: So viel Sturm, so viel Drang

Sie ist virtuos, sie ist leidenschaftlich, sie ist eine Getriebene: Jetzt spielte die junge georgische Pianistin Khatia Buniatishvili im Berliner Kammermusiksaal der Philharmonie.

Von Gregor Dotzauer

Mit Anfang zwanzig wollen Musiker von der Ewigkeit nichts wissen. Das Heiligste, worauf sie Anspruch erheben, ist das Recht, mit allem Ungestüm nach vorn zu leben. Für die kleine Unsterblichkeit reicht es schon aus, Auftritt um Auftritt auf Händen getragen zu werden und in Bravorufen nichts als das Echo des eigenen Spiels zu hören. Wie altväterlich muss es klingen, sich selbst von einer Instanz wie dem Geiger Gidon Kremer sagen zu lassen, „dass der Künstler sich nicht nach der Mode, dem Erfolg oder anderen vergänglichen Werten richten darf. Nur der überlebt, der sich am Ewigen orientiert. Im Spiel von Dinu Lipatti, Arturo Benedetti Michelangeli oder Georges Enescu, im Dirigat von Furtwängler oder Bernstein ist dieses Ewige zu hören.“ Und welch verlorene Liebesmüh’ steckt wohl darin, ein romantisches, erst im Ornamentalen so richtig aufblühenden Virtuosengemüt wie die georgische Pianistin Khatia Buniatishvili daran zu erinnern, dass er als junger Mann sein Publikum bei den Zugaben wenigstens noch mit Anton Weberns Verdichtungsextremismus herausgefordert habe.

Die zehn zwischen Mai 2010 und Jahresbeginn 2012 entstandenen „Briefe an eine junge Pianistin“, die Kremer nun mit anderen Gelegenheitsarbeiten im Wiener Braumüller Verlag veröffentlicht hat, sind allerdings nicht deshalb unbeantwortet geblieben, weil sie sich einer oft doch allzu betulich schlichten Kommerzialisierungskritik hingeben und an eine pseudonyme Freundin namens Aurelia wenden. Die Bewunderung für Martha Argerich, der Manager Jacques Thelen, das Liszt-Album bei Sony oder die gemeinsame Aufnahme von Klaviertrios für ECM: Kein Detail lässt auch nur den Hauch eines Zweifels daran, um welche glamouröse Erscheinung es sich hier handelt. Der Grund liegt darin, dass die Antwort jeden Abend neu auf der Bühne stattfindet.

Vor anderthalb Jahren spielte die 1987 in Tiflis geborene Khatia Buniatishvili mit dem DSO unter Eivind Gullberg Jensen in Berlin Chopins 1. Klavierkonzert. Ihr stürmisches Temperament vereinte sich dabei hinreißend mit einer seltenen tonlichen Noblesse. Nun kehrte sie zu einem Soloabend in den Kammermusiksaal zurück und betrieb gefährlichen Raubbau am Buniatishvili-Mythos. Denn von der poetischen Versenkungskraft, über die sie verfügt, dem Wetterwendischen, das vom Glitzernden sekundenschnell ins Düstere umschlagen kann, blieb streckenweise nur technische Hochartistik – Musik für Karate Kid Khatia. Besonders gemessen an ihren eigenen Aufnahmen von Liszts Mephisto-Walzer und Chopins b-Moll-Sonate op. 35 mit dem Trauermarsch fehlten die Valeurs.

Vielleicht ist das so, wenn man mit einem reichlich abgespielten Programm zwischen Athen und Wien müde in Berlin zwischenlandet und seiner Brillanz hinterherjagt. Aber es zeugt nicht von mangelndem Interesse an neuem Repertoire, sondern vor allem von einem wenig pfleglichen Umgang mit dem längst Erarbeiteten. Ein Höhepunkt an Verwühltem Ravels Tongedicht „La Valse“: ein für Diaghilevs Ballets Russes komponiertes Stück Impressionismus, dessen Nebeln die walzerhaften Konturen eigentlich zauberisch entschweben, bevor sie ein gewaltiges Finale verschlingt. Hier gewitterte es schon zuvor. Ebenso intransparent die flirrenden Rhythmusschichten von Strawinskys „Petruschka“. Als Zugabe das Precipitato aus Prokofievs siebter Klaviersonate. Es ist Khatia Buniatishvili zu wünschen, dass dieses letzte Wort von der Übereile sich nicht schicksalhaft vor ihre Karriere stellt.

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