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Kultur: Die Plapperschlange

René Pollesch eröffnet die Berliner Volksbühnen-Saison mit einem Sit-In

Von Peter Laudenbach

Im elften Jahr der Ära Castorf arbeitet die Volksbühne lässig am eigenen Mythos. Wie Totenmasken hängen die Gipsköpfe von Frank Castorf und Henry Hübchen, Sophie Rois, Astrid Meyerfeldt und den anderen Schauspielerhelden vom Rosa-Luxemburg-Platz in einem kleinen Holzverschlag, einer abgedunkelten Ruhmeshalle im Foyer. Eine Geste der fröhlichen Selbst-Musealisierung, die demonstriert, dass man mit dem eigenen Ruhm am liebsten ironisch umgeht und ihn gleichzeitig gut gelaunt auskostet. Als ersten Beitrag zu einer historisch-kritischen Dokumentation des gesammelten Volksbühnen-Schaffens kann man an der Kasse eine CD-Rom mit Texten, Filmen und Interviews zu den letzten und einigen kommenden Inszenierungen kaufen.

Auf der Müllhalde der Deklassierten

Auch die Eröffnungs-Premiere der Spielzeit, „24 Stunden sind kein Tag. Escape from New York“ von René Pollesch, hat etwas von solcher Selbstreflexion des Theaters. Pollesch schreibt mit seiner ersten Inszenierung im großen Haus die Themen fort, die ihm in der letzten Spielzeit im Prater das Material für seine Stücke geliefert haben: Konkurrenzökonomie und ihr Eindringen in intime Räume, die Stadt als von Markt, Konsum und Zerfall des Sozialen dominierter Ort, die Spiele der permanenten Selbstvermarktung als Surrogat von Identität. Wieder montieren seine Schauspielerinnen im Stakkato Parolen und ökonomische Minianalysen, politische Statements, Momente von Sehnsucht und Wut. Und dazwischen brüllen sie immer wieder an gegen „diese Scheiße hier!“

Aber weil das jetzt nicht mehr in der intimen Zimmerflucht stattfindet, die Pollesch im Prater bespielt hat, sondern auf der riesigen Spielfläche, die Bert Neumann als künstliche Stadt in die Volksbühne gebaut hat, wirken die bekannten Pollesch-Mittel radikal anders. Was im Prater nur unterschwellig mitlief, die Verweigerung theatralischen Erzählens, das Auflösen der Figuren in Diskursen und Theoriebruchstücken, wirkt hier wie eine schroffe Kriegserklärung an alle Erwartungen. Pollesch bleibt der Mann an der Diskurs-Mischmaschine. Wie sehr diese Verweigerung „bürgerlicher Subjektpositionen“ (um eine Lieblingsvokabel des Regisseurs zu verwenden) das Theater von innen, von der Figurencharakterisierung her, auflöst, wird erst jetzt, auf der großen, theatralische Kraft fordernden Bühne deutlich. Theater als Beute der Gesellschaftstheorie, die sich im Wirtskörper eingenistet hat, um ihn und seine Behauptungen von dramatisch ergiebigen Einzelschicksalen von innen heraus zu zerstören. Als Theatererlebnis ist diese Theaterverweigerung eine Zumutung. Als Reflexionsvorgang mit theatralischen Mitteln, als so hysterische wie präzise Reaktion auf gesellschaftliche Konflikte, ist die Aufführung großartig und ziemlich komisch.

Den Rohstoff für sein Stück hat Pollesch in John Carpenters B-Movie „Escape from New York“ gefunden. Der Film aus den frühen 80er Jahren, der in Deutschland als „Die Klapperschlange“ in die Kinos kam, zeigt New York als riesiges, von der Außenwelt abgeschnittenes Gefängnis. In der apokalyptisch verfallenen Megacity, einem Schattenreich der sozial Ausgeschlossenen, regeln Gewalt und Angst das Zusammenleben. In dieser Müllhalde der Deklassierten landet der US- Präsident bei einem Flugzeugabsturz. Snake, ein Schwerverbecher mit Vietnam-Erfahrung, hat 24 Stunden Zeit, um ihn zu retten.

Die Dritte Welt von Berlin

Natürlich lässt Pollesch von diesem Plot nur einige Zitate übrig. Was ihn offenbar am Film-Szenario gereizt hat, ist das in den Trash-Produkten der Kulturindustrie vorausgeträumte Bild einer Stadt der Zukunft: Bandenkriege und Gang-Herrschaft als Fortsetzung des Konkurrenzkapitalismus mit kriminellen Mitteln. Der soziale Ausschluss materialisiert sich im Riesen-Slum. Diejenigen, für die die Gesellschaft keine Verwendung hat, können sich die Zeit damit vertreiben, einander gegenseitig umzubringen.

Der Mensch im Zeitalter seiner Überflüssigkeit kommuniziert mit seinesgleichen am effektivsten durch Gewaltanwendung. Das wird nicht gespielt, in Szenen und Handlungsabläufe aufgelöst, sondern im Sprechstakkato von Christine Groß, Nina Kronjäger und Catrin Striebeck rasant angerissen, durchreflektiert und in eine „Pathologie des Untergangs“ verwandelt. Dann sagen die Schauspielerinnen Sätze wie: „Mich interessiert nur, wie Du die Scheiße überlebst!“ Oder: „Der Schrecken hier gestorben zu sein, lässt sich nicht von dem trennen, hier gelebt zu haben.“ Oder einfach nur: „Wir werden sicher nicht alt in dieser vergammelten Dienstleistungsgesellschaft hier! In dieser Dritten Welt hier von Berlin!“

Während sich die drei Performerinnen ihre Statements und Dialogpartikel zuwerfen, sitzen oder stehen sie am liebsten mitten zwischen den Zuschauern. Die Spielfläche, die der Bühnenbildner Bert Neumann in die Volksbühne gebaut hat, eine Stadtlandschaft, die Zuschauerraum und Bühne verbindet, wird vor allem als Abenteuerspielplatz benutzt. Manchmal rennen die drei Schauspielerinnen über die Stufen, auf denen die Zuschauer sitzen, oder sie verbarrikadieren sich in kleinen Kabuffs, einem Frisiersalon oder einem Supermarkt. Oder sie stürmen die Leitern rauf und runter, die an einem dreistöckigen Gebäude aus Wellblech-Einzelzellen montiert sind. Oder sie lassen sich in einem Fluggerät von der Decke fallen.

Dazu zuckt dann effektvolles Stroboskoplicht, und aus den Boxen dröhnt harter Disco-Trash der 70er Jahre: „In Zaire“. Womit ganz nebenbei an den Imperialismus erinnert wird, der die Dritte Welt ausbeutet. Oder das Wellblechhaus dreht sich im fahlen Licht, während Bob Dylan „I’m walking“ singt. Oder die Schauspielerinnen behaupten, Franz Josef Strauß und Gloria von Thurn und Taxis hätten gemeinsam kleine Kinder missbraucht. Oder so etwas wie Liebe flackert kurz auf, und jemand will einen anderen beim Sterben begleiten. So surft die Aufführung von Dylan zu Abba, von Fassbinder zu John Carpenter und Fritz Lang, von der Raubkopie eines Parfüm-Werbespots zu Stadtsoziologie – und von Referenz zu Referenz.

Wieder am 14., 20.,21.,23., 24.Oktober .

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