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Kultur: Die Qual der Puppen

Neville Tranters „Frankenstein“ in Berlin

Typisch Volkstheater: Wenn schon mal der Name eines Großklassikers ins Spiel kommt, wird es garantiert despektierlich. „Who the fuck is Goethe“, raunzt eine der verwuschelten Puppen, mit denen Neville Tranter seine Frankenstein-Variante aufführt. In diesem Fall ist Goethe nicht Johann Wolfgang, sondern das Meisterwerk des Monsterzüchters Frankenstein. Und Goethe, man muss es leider sagen, ist nicht gut drauf: Schlaff hängt der auf die Endfertigung wartende Mutant in den Seilen, trostlos baumelt die Perücke am Schädel, und wenn er mal was sagt, kommen keine unsterblichen Zeilen, sondern nur Gebrabbel: Love, kiss. Wonach sich depressive Monster an lauen Sommerabenden halt so sehnen. Irgendwas muss bei Genie-Züchtung schief gegangen sein.

Neville Tranter, Mastermind, Solist und begnadeter Puppenspieler seines Amsterdamer Stuffed Puppet Theatre, ist eine Legende. Seine Puppen sind die traurigsten und absonderlichsten, die man sich vorstellen kann. Und die Themen, in die er mit ihnen eintaucht, haben mit harmlos freundlichem Kindertheater so viel zu tun wie de Sade mit der Sesamstraße. Berühmt wurde sein Ausflug in die deutsche Geschichte „Schicklgruber, alias Adolf Hitler“. Jetzt zeigt er in der Berliner Arena beim Volkstheater-Festival „Schön & Gut“ mit „RE: Frankenstein“ seinen makabren Kommentar zur Menschenzüchtung. Wobei es Frankenstein nicht ums Klonen geht – nur Clowns begnügen sich mit Klonen–, sondern um die Optimierung des Gen-Materials.

Das ist so komisch wie schauerlich. Wenn ein Polizist dem Publikum ein Zeugenschutzprogramm anbietet, samt neuem Ausweis und neuem Gesicht, und einer Zuschauerin in der ersten Reihe zuraunzt, „neues Gesicht - das wäre doch was für Sie“, ist das einer der harmloseren Scherze. Zotiger wird es, wenn der wahnsinnige Wissenschaftler seinen Knecht Rudy (der Puppenspieler Neville Tranter selbst) anschnauzt, die einzige Forschung, zu der er fähig sei, seien die Nachforschungen in der Unterhose der Tochter seines Chefs. Und grauenvoll, wenn diese Tochter, ein wahrhaft Frankenstein’sches Kind von erlesener Hässlichkeit, beim Polizeiverhör seltsam rhythmisch zu stöhnen beginnt: „Daddy is coming“ Die kleine, böse Show lebt von solchen Brüchen, die schnell zwischen Kalauern, Albernheiten und Scherzen jenseits der Schmerz- und Geschmacksgrenzen hin- und herspringen: Puppentheater aus dem Geist von Vaudeville und Music-Hall, schnell, grotesk, sarkastisch und immer einen Dreh böser als erlaubt.

Heute, Arena Treptow, 20 Uhr

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