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Kultur: Die Revolutionäre sind müde

Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur über die Studentenproteste im Iran

Frau Amirpur, gerade waren Sie in Teheran, um die Familie zu besuchen – just zum Zeitpunkt, als die Studentenproteste begannen.

Bekannte in Teheran haben schon einen Dauerwitz daraus gemacht: Aha, jetzt wissen wir, warum Katajun so plötzlich kommt! Natürlich konnten wir nicht ahnen, dass die Demonstrationen in der Nacht beginnen, in der wir ankamen. Das war die Nacht von Dienstag auf Mittwoch, und wir sind in die Ausläufer hineingeraten.

Wie sah das aus?

Uns war nicht sofort klar, was wir da sahen. Verstopfte Straßen und Hupkonzerte – wir dachten zuerst, es sei eine Hochzeit.

Haben Sie gesehen, wie die Polizei vorging?

Drei Tage später konnten wir wieder letzte Regungen eines Protestes beobachten, da habe ich diese AntiAufruhr-Truppe von nahem gesehen: Denen würde ich ungern im Dunkeln begegnen. Sie hatten die Demonstranten schon auseinander getrieben und saßen gelassen auf dem Bürgersteig in Kampfanzügen und mit riesigen Schlagstöcken. Meine Freundin hat geflüstert: „Guck dir die an. Das sind keine Iraner, das sind Libanesen oder Palästinenser.“ Sie meinte, und so möchten viele das glauben, dass sich seit der blutigen Niederschlagung der Unruhen 1999 kein Iraner mehr dieser Truppe anschließt. Ob’s stimmt, kann ich nicht beurteilen.

Was war Ihr Eindruck von der Atmosphäre auf den Straßen, der Haltung der Menschen?

Am erstaunlichsten fand ich, wie amerikafreundlich die Menschen wieder sind, und das angesichts des Vorgehens der US-Truppen im Irak. Völlig unreflektiert pro-amerikanisch. Bei einer Umfrage kam neulich heraus, dass 70 Prozent die Wiederaufnahme der Beziehungen zu den USA wünschen. Die Fragen, die man sich in Deutschland stellt – wo sind denn nun die Massenvernichtungswaffen?, zum Beispiel – das ist vielen ganz egal. Sie denken, die Amerikaner machen im Irak das einzig Richtige: Druck! Und das sollten sie im Iran auch tun, dann geht’s vielleicht vorwärts mit der Demokratisierung.

Sie klingen, als irritierte Sie das.

Es hat mir ein wenig wehgetan, das mitanzusehen: Ein Volk, das sich einmal gegen eine amerikanische Hegemonie aufgelehnt hat, ist nun vom eigenen Regime so weit getrieben worden, dass es bereit ist, die Verantwortung erneut abzugeben und zu sagen: Gut, dann sollen’s halt die Amis wieder in die Hand nehmen.

Haben Sie Indizien für den amerikanischen Einfluss ausmachen können?

Der ist offensichtlich. Es gibt etwa fünf bis acht Fernseh- und Radiosender aus dem Ausland, die gezielt in den Iran senden und die jeder bekommen kann, der sich nicht ganz dumm anstellt. Die Programme sind sehr offensiv. Die Sprecher fordern zu Protesten auf, initiieren sie ganz detailliert: Geht heute um zehn zur Straße XY und geht links rum, damit ihr der Polizei nicht in die Arme lauft. Und während der Sendung rufen die Menschen dann an und sagen, ich bin jetzt hier, hört ihr das Geschrei, hört ihr die Proteste?

Viele Experten sagen, dass aus diesen Studentenprotesten keine Revolution werden wird.

Eine vorrevolutionäre Stimmung ist aber da. Was die Studenten sagen, denken viele. Die Menschen überlegen sich wilde Dinge. Eigentlich sollte sich niemand eine Prognose erlauben. Möglich, dass schon nächste Woche der Ausnahmezustand ausgerufen wird. Das Ausmaß der Kundgebungen ist ja größer als alles bisher. Wer weiß? Wenn die jungen Leute es schaffen, die Proteste bis zum 9. Juli lebendig zu erhalten, bis zum Stichtag der blutig niedergeschlagenen Studentenrevolten 1999 – vielleicht wird’s dann mehr.

Doch Sie sind skeptisch.

Man darf eben nicht vergessen: Angesichts der Bevölkerung von Teheran – immerhin 14 Millionen Menschen – bedeutet es nicht die Welt, wenn 2000 auf die Straße gehen. Und es gibt weder eine charismatische Führerpersönlichkeit noch eine organisierte Opposition im In- und Ausland. Aber ausschlaggebend ist vielleicht, dass die Menschen kaum noch Kraftreserven haben.

Was meinen Sie mit Kraftreserven?

Ich weiß nicht, ob ein Land in der Lage ist, innerhalb von 25 Jahren zweimal Revolutionen herbeizuführen. Das kostet Kraft. Die Menschen haben zwar ein starkes politisches Bewusstsein. Aber sie sind auch erschöpft, angestrengt, fast ein wenig – quengelig. Wir haben so viel mitgemacht, sagen sie. Revolution, Krieg, Neuordnung. Viele meiner Freunde schauen sich die Bilder von den Protestmärschen an und finden gut, was sie sehen. Aber selber hingehen – ach, nein.

Das Gespräch führte Christine-Felice Röhrs.

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