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Symbol der Macht. Chinas Staatspavillon im Zentrum der „Shanghai Expo“. Foto: AFP

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Kultur: Die Stadt da draußen – die Stadt in uns

„Better City, Better Life“? Schanghai sucht auf der größten Expo aller Zeiten die Zukunftszeichen einer urbanisierten Welt

China rühmt sich einmal mehr der Superlative. Die am morgigen Samstag beginnende „Shanghai Expo 2010“ sei nicht nur die größte Weltausstellung aller Zeiten, sondern auch „die erste in einem Entwicklungsland“. Wer die Glitzerwelt der 20-Millionen-Stadt mit ihren über 4000 Wolkenkratzern im Original oder auch nur von Bildern kennt, den ereilt hier ein Schanghaifischlächeln: über die stolze Untertreibung eines „developing country“, das sich längst zur ökonomischen und politischen Superpower entwickelt.

Groß und am größten, das passt schon eher. Man hat im Süden der Hafenmetropole zu beiden Seiten des mächtigen Huangpo Rivers auf fünf Quadratkilometern 270 alte Fabriken abgerissen, 60 000 Menschen in Neubauten umgesiedelt, hat für die Hallen und Eventcenter von über 200 Ländern, Organisationen und Firmen rund um den alles rostrot überragenden, halb einer Pagode, halb einer asiatischen Krone gleichenden chinesischen Staatspavillon eine Art Stadt in der Stadt geschaffen. Ihr Motto: „Better City, Better Life“. Dazu erwartet man an den 184 Ausstellungstagen bis zum 31. Oktober rund 70 Millionen Besucher.

Auch dieser neue Expo-Weltrekord wirkt imposant. Doch er relativiert sich, wenn man bedenkt, dass schon die allererste Weltausstellung 1851 im legendären Londoner Kristallpalast über sechs Millionen Neugierige anlockte. Es war damals eine erste Feier des angebrochenen Industriezeitalters. Den Durchbruch markierte jedoch die Jahrhundertwendeweltschau 1900 in Paris. Erstmals inszenierte sich, am Fuß des stählern und himmelhoch aufragenden Eiffelturms, eine Stadt als Bühne der Moderne – weil jetzt auch die Nacht zum Tag wurde. Im Licht der magisch elektrifizierten Großstadt.

In jenem Jahr 1900, in dem es zwar Dampfbahnen gab, doch noch keinen fliegenden Massentourismus, hatte die Pariser Weltausstellung bereits schier unglaubliche 50 Millionen Besucher. Im Vergleich dazu wirken die siebzig Mios in Schanghai, von denen nur schätzungsweise dreieinhalb Millionen aus dem Ausland kommen werden, wieder recht überschaubar. Und ob das Motto von der „besseren Stadt“ als Ort des „besseren Lebens“ mehr als nur eine optimistisch illusionäre Verheißung bedeutet, das wird ab dem 1. Mai die Frage sein.

Schanghai und Peking beteuern, dass es China nicht um großstadttouristische Werbung gehe, sondern um die Wahr- und Wegzeichen für Zukunftslösungen. Denn seit 2008 lebt die Mehrheit der Weltbevölkerung in Städten; und nicht nur in China wuchern die von Umweltzerstörung, Verkehrschaos, Luftverpestung, sozialen Spannungen, neuen Slums und wachsender Kriminalität gezeichneten Megacitys. Kairo oder Rio werden also gewiss nicht unmittelbar davon profitieren, wenn sich in Schanghai nun beispielsweise Deutschland in seinem Länderpavillon namens „Balancity“ oder in Städteprojekten aus Hamburg, Bremen, Düsseldorf und Freiburg mit Ökohäusern, alternativen Energien und abgasarmen Verkehrstechnologien präsentiert.

Es geht tatsächlich um Zukunftsmusik. Aber die muss gespielt werden: aus ökologischen wie ökonomischen Gründen, zumal auf diesem größten Marktplatz des 21. Jahrhunderts. Schanghai selbst verweist auf seine mit vorausschauender Macht vorangetriebene Stadtpolitik: Das U-Bahnnetz wurde von vier auf 15 Linien vervielfacht, sechs der elf Fahrspuren der kolonialstilprächtigen Uferpromenade am weltberühmten Bund, gegenüber der Skyline von Pudong, verlaufen nun unterirdisch, ganze Stadtviertel werden begrünt – und immer mehr traditionelle Hofgassen mit intimen Altstadthäusern müssen weichen. Was die menschlichen Kosten dieses rasenden Fortschritts hin zu anonymen Hochhäusern bedeuten mögen, hat zuletzt der Eröffnungsfilm der Berlinale 2010 gezeigt: „Tuan Yuan“, übersetzt mit „Apart Together“, war die Geschichte einer nicht nur durch vergangene Kriegswirren, sondern durch die jüngste Stadtentwicklung erschütterten Schanghaier Familie.

Kulturprogramme hat die Expo natürlich auch, und die Deutschen bemühen sich neben viel exportiertem „German Pop“ und DJ-gestützter Berliner Clubszene auch ums künstlerische Joint Venture. Ob Studierende der Musikhochschulen Peking, Schanghai und von der Essener Folkwang-Uni „Young Euro Classic“ spielen (ein fernöstlich erweiterter Europa-Begriff?), ob Brechts „Kaukasischer Kreidekreis“ urchinesisch inszeniert wird oder die Berliner Theatertruppe Rimini Protokoll ihre Aktion „Cargo Shanghai“ gleichsam zurückexpediert, immer wieder wird eine globalisierte Gemeinschaft mit den Gastgebern beschworen.

Was die Chinesen freilich nicht verstehen würden, ist ein sehr innerdeutsches Phänomen, dem sich gerade die Internationale Bauausstellung in Magdeburg und Dessau widmet. Ihr Motto lautet „Weniger ist Zukunft“, und es geht um die schrumpfenden Städte. Um ganz eigene Frei-Räume. Was also wäre die Quadratur des urbanen Weltkreises? Der aus Lagos stammende, in Los Angeles lebende Autor Chris Abani hat einmal das geschrieben: Die Stadt, „sie nährt unsere tiefsten Sehnsüchte nach einer Welt, die größer ist als wir und dennoch in uns liegt.“

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