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Kultur: Die Stadt und die Villa

Von Christoph Stölzl „Topos“ heißt in der Sprache des klassischen Griechenland „Ort“. Aber lange schon hat sich der Begriff aus der Topo-Graphie emanzipiert und ist in die philosophische Begriffswelt ausgewandert.

Von Christoph Stölzl

„Topos“ heißt in der Sprache des klassischen Griechenland „Ort“. Aber lange schon hat sich der Begriff aus der Topo-Graphie emanzipiert und ist in die philosophische Begriffswelt ausgewandert. Manchmal kehrt der Topos aber reumütig in sein geografisches Ursprungsgehäuse zurück und sucht sich auf dem Stadtplan feste Koordinaten.

So im Fall der Villa Grisebach. Was bedeutet sie für Berlin? Beginnen wir mit der Architektur. Wer die Berliner Fasanenstraße kennt, weiß, dass dort keine frei stehenden Landhäuser zu finden sind. Aber die „Villa als Burg", die selbstbewusste Architekturgeste des deutschen Bürgertums der 1890er Jahre, ist heute so frisch wie ein Jahrhundert zuvor, als der Architekt und Kunstsammler Grisebach sich im aufblühenden Westen seitwärts des Kurfürstendamms ansiedelte. Die Geste hieß: Wir gestalten die Stadt mit allen „Errungenschaften“ unserer Zeit. Das hieß damals „Historismus“ und geriet spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig in den Verdacht, Mitschuld zu tragen am politischen Bankrott der alten Bürgerwelt nach 1914. In den 1970er Jahren wurden Besuchergruppen durch die Fasanenstraße geführt und auf die Grisebach-Fassade als besonders abstoßendes Beispiel architektonischer Verlogenheit hingewiesen.

Die Wiederentdeckung der bürgerlichen Stadt ging von Berlin aus, von Wolf Jobst Siedlers Buch „Die gemordete Stadt“. Darin wurde das Karree des 19. Jahrhunderts endlich wieder als legitime Façon großstädtischen Lebens definiert. Siedler fand ein Echo nicht nur in einem Wandel des Denkmalschutzes, sondern auch in Joseph Paul Kleihues’ urbanistischer Großtat, der IBA der 1980er Jahre. Nicht um Architektur allein ging es damals, sondern um Berlin als Topos: Konnte sich die von der Geschichte geschüttelte, aus der Hauptstadtrolle verstoßene Stadt durch eine kulturelle und politische Widergeburt aus eigener Kraft wieder ins europäische Spiel bringen? Seit Beginn der 1980er Jahre wurde damit Berlins Stadt-Gestaltung wieder zu einem brennenden Thema der intellektuellen Eliten in Deutschland. Joachim Fest gab in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Bühne dafür frei. Und Richard von Weizsäcker wurde zur gleichen Zeit zur Symbolfigur für ein neues Berlin.

Damit sind wir mitten in der Personenkonstellation um die Villa Grisebach. Was noch fehlt, ist der Bernd Schultz. Seit 1963 lebt der Bremer Kaufmannssohn in Berlin. Seine enthusiastischen Kunstneigungen hatten ihn aus dem Bankfach in den Kunsthandel geführt. Lebensbestimmend wurden die Mentoren des jungen Mannes, die eine direkte Verbindung zu der 1933 abrupt abgebrochenen Glanzzeit des Berliner kulturellen Lebens herstellten: Edwin Redslob, der einstige „Reichskunstwart“ der Weimarer Republik, Leopold Reidemeister, Museums-Herold des deutschen Expressionismus, und Otto von Simson, Doyen der deutschen Kunsthistorie aus der großen preußisch-jüdischen Familie.

Schultz war bis Anfang der 80er Jahre vom studentischen Helfer zum Teilhaber des großen Kunsthändlers Hans Pels-Leusden geworden. Seine überragende Eigenschaft war (und ist) Begeisterungsfähigkeit und Freude am Gelingen. Beides hatte einen Perfektionismus zur Folge, den man früher sicher „preußisch“ genannt hätte, der aber im ummauerten Subventions-Berlin jener Jahre fast exotisch wirken musste. Er war Vorstand des Berliner Kunsthändlerverbandes, als Richard von Weizsäcker als neuer Regierender Bürgermeister das bürgerliche Berlin aufforderte, demonstrative Zeichen zu setzen.

Schultz antwortete mit der Idee der „Orangerie“, einer Kunstmesse höchsten Anspruchs. 1982 fand sie zum ersten Mal statt, ein halsbrecherisches Wagnis in einer Stadt, die jenseits der großen Strecken des europäischen Kunsthandels lag. Sie war ein publizistischer Erfolg für Berlins neuen Geist. Weizsäcker dankte Schultz mit einem eleganten Brief, der um die Ambivalenz von Erreichbarkeit und Unerreichbarkeit des Schönen im Kunsthandel kreiste, und machte die „Orangerie“ zum Vorbild-Thema im Senat.

Die positive Orangerie-Erfahrung, aber auch der dramatische Wandel des internationalen Kunsthandels von einer diskreten Sache der Händler zum inszenierten „Event“, wo unter Anteilnahme einer fieberhaften Öffentlichkeit von Privatsammler an Privatsammler verkauft wird, inspirierten Schultz zum nächsten Schritt. Er war ungleich riskanter. Ausgerechnet im Mauer-Berlin 1986 eine ehrgeiziges Auktionshaus für die klassische Moderne der deutschen Kunst zu wagen, hielten viele Kenner für selbstmörderisch. Das Gegenteil war der Fall. Bis heute hält der Erfolg an.

Der Fall ist ein Lehrstück zur Frage, wie ein Gründertum in Berlin aussehen muss. Wichtiger als die Details der Kapitalausstattung wurde für die Villa Grisebach die enge Verbindung zur reichen kunsthistorischen Kompetenz-Landschaft Berlins in Universitäten, Archiven und Museen. Das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein, begann schon mit der Rettung des Architekturensembles in der Fasanenstraße. Im Zusammenwirken von Senat, Deutscher Bank und Privaten wurden das Literaturhaus, das Kollwitz-Museum und das Auktionshaus liebevoll restauriert: ein Symbol für den Berlin-Patriotismus.

Das Hochpolitische des Grisebach-Topos blieb auffällig. 1990/91 wurde die Fasanenstraße das Hauptquartier der „Initiative Regierungssitz Berlin“. Schultz und seine Freunde Klaus Krone, Peter Herlitz, Peter Raue sammelten zwei Millionen Mark für Annoncen und spannten ein, was an prominenten Berlin-Freunden auf der Welt zu finden war. Enthusiastisch war der Dank Eberhard Diepgens. Ähnlich energisch erwies sich der Schultz-Freundeskreis bei der Kampagne für die Wiedererrichtung des Berliner Schlosses. Leidenschaftliche bürgerliche Anteilnahme am Schicksal der Stadt hat für die handelnden Politiker freilich nicht nur angenehme Seiten. Zorniger als Bernd Schultz hat wohl kaum jemand öffentlich sowohl den allzu schnellen Abschied Richard von Weizsäckers von Berlin als auch die Politik Eberhard Diepgens im Jahr 2001 kommentiert.

Vielleicht ist auch das dem Genius Loci geschuldet: Die Kunst wie das Auktionswesen ist immer für abrupte Überraschungen gut.

Der Autor ist Vorsitzender des CDU-Landesverbands Berlin und wisschenschaftlicher Berater der Villa Grisebach. Er war von 2000 bis 2001 Kultursenator in Berlin.

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