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Gedenken ans Nanking-Massaker. Chinesische Soldaten am 75. Jahrestag.

© dpa

Roman: "Nanking Requiem": Die traurige Samariterin

Der Exilchinese Ha Jin hat einen Roman über den grausamen japanischen Überfall auf China von 1937 geschrieben.

Im Dezember 1937 eroberte die japanische Armee die chinesische Hauptstadt Nanking. Die japanische Invasion in dem vom Bürgerkrieg geschwächten Riesenreich hatte ein halbes Jahr zuvor in der Mandschurei begonnen und ging erst im September 1945 mit der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg zu Ende. Nanking ist zum Symbol geworden, das für den japanischen Zivilisationsbruch steht, so wie Auschwitz für den deutschen. Dem „Massaker von Nanking“ fielen rund 300 000 Chinesen, vor allem Zivilisten, zum Opfer. Zehntausende von Frauen wurden vergewaltigt und als „Sexsklavinnen“ verschleppt. Gefangene wurden systematisch ermordet, es galt der Befehl, die Haager Konvention zu missachten. Die genauen Zahlen sind unter Historikern Chinas und Japans umstritten – als ob davon etwas abhinge oder ein Verbrechen relativierbar wäre, wenn „nur“ 100 000 Menschen umgebracht wurden. Die Bestialität, mit der die Japaner damals agierten, ist nicht zu bezweifeln.

Der aus China stammende, in den USA lebende Autor Ha Jin hat aus diesem schockierenden Stoff nun einen Roman gemacht: „Nanking Requiem“. Schon der kurze Prolog, der Bericht eines Jungen, schildert die grauenhafte Rohheit der Besatzer bis hin zu einer Szene, wo Soldaten ein Kind auf der Straße mit Stiefeltritten traktieren, ihm in den Mund pissen und das auch noch komisch finden.

Im Mittelpunkt der Ereignisse steht das Mädchenpensionat Jinling und seine Leiterin, die amerikanische Missionarin Wilhelmine „Minnie“ Vautrin. Sie war neben dem Deutschen John Rabe, Repräsentant von Siemens und durchaus überzeugter Nazi, eine der wenigen Ausländer, die in der Stadt blieben und dort eine internationale Schutzzone einrichteten. Rabe ist nicht zuletzt durch den Film „John Rabe“ als „Oskar Schindler Chinas“, als der „gute Nazi“ bekannt geworden. Im Schutz der Hakenkreuzfahne, die er vor seinem Haus aufstellte, und mit dem Zauberwort „Hitler“, das die japanischen Soldaten verstanden, gelang es ihm, viele Menschenleben zu retten. Minnie Vautrin verwandelte das Collegegelände in ein Lager für Frauen und Kinder, in dem zeitweise 10 000 Menschen Zuflucht fanden. Sie selbst aber fühlte sich schuldig, weil es ihr nicht gelang, 29 Frauen zu retten, die von den Japanern als Prostituierte requiriert wurden. Eine von ihnen kehrt wenig später, „verrückt“ geworden, zurück und ist von da an so etwas wie ein lebender Vorwurf für die fromme Christin. Sie endet als menschliches Versuchsobjekt in einem bakteriologischen Labor der Japaner im Norden Chinas.

Ha Jin erzählt die Ereignisse aus der Perspektive von Miss Vautrins Mitarbeiterin Anling, die ihrer Chefin stets treu zur Seite steht. Mit einem in Japan verheirateten Sohn, der als Arzt in der japanischen Armee Dienst tun muss und als Besatzer nach China zurückkehrt, hat sie ein eigenes, schweres Schicksal. Und doch gelingt es Ha Jin an keiner Stelle, ein wirkliches Interesse für seine Figuren zu wecken. Vielleicht liegt das daran, dass die schrecklichen historischen Ereignisse allzu übermächtig sind, um daneben so etwas wie psychologische Feinheiten zu rechtfertigen oder eine Handlung zu etablieren, die sich vom allgemeinen Morden, Plündern und Vergewaltigen emanzipieren könnte. Ha Jin hat gründlich recherchiert und unter anderem auch die Tagebücher Minnie Vautrins ausgewertet. Man darf ihm, was die Fakten betrifft, vertrauen. Trotzdem ist „Nanking Requiem“ ein merkwürdig blasser, stellenweise fader Roman. Das liegt an der äußerst konventionellen Machart, an hölzernen Dialogen und vielleicht auch an einer allzu schlichten Verteilung von Gut und Böse.

Für welches Publikum aber wurde dieser Roman geschrieben – und welchen Zweck könnte er erfüllen? Mag sein, dass er die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in China und Japan befördert. Doch Ha Jin schreibt als amerikanischer Staatsbürger in Englisch und primär für den US-Markt. 1956 geboren, gehörte er zu der Generation, die in den Jahren von Maos „Kulturrevolution“ aufwuchs und keine Chance hatte, der Ideologie zu entkommen. Ha Jin, der eigentlich Jin Xuefei heißt, verpflichtete sich bei der Armee, studierte amerikanische Literatur und kam 1985 als Stipendiat in die USA. 1987 begann er mit dem Schreiben von Gedichten. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 beschloss er, in den USA zu bleiben. Heute ist er Professor für Literaturwissenschaft an der Universität in Boston. Als Exilant, sagt er, habe er sich nie gefühlt. Ein chinesischer Schriftsteller ist er nie gewesen. Nun erschreibt er sich mit „Nanking Requiem“ ein Stück der chinesischen Nationalgeschichte, das in der Gegenwart allerdings auch ideologisch genutzt wird: China als Opfer der imperialistischen Kriegsmaschinerie ist ja ein gutes Argument für alle, die auf eigene Stärke und militärische Macht setzen.

Das Leben von Minnie Vautrin endete tragisch. Von den Chinesen als „Göttin der Barmherzigkeit“ verehrt, wurde sie mit dem, was sie als ihre Schuld empfand, nicht fertig. In die USA zurückgekehrt litt sie unter Depressionen und nahm sich das Leben. Für Ha Jin ist das nur ein kurzer Epilog. Vielleicht wäre das der eigentliche Stoff für einen Roman gewesen.

Ha Jin: Nanking Requiem. Roman. Aus dem Amerikanischen von Susanne Hornfeck. Ullstein, Berlin 2012, 344 S., 22,99 €

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