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Kultur: Die Unbequeme

Der Schauspielerin Vanessa Redgrave zum 70.

Ihr Geburtstag liegt nur wenige Tage nach dem von Virginia Woolf. Ein kalendarischer Zufall. Aber auch Zeichen einer Geistesverwandtschaft, nicht erst, seit sie in Marleen Gorris’ Literaturverfilmung 1997 Mrs. Dalloway gespielt hat – mit jener ihr eigenen Mischung aus Zerbrechlichkeit und Willensstärke, Fröhlichkeit und Weltfremdheit. Kurz zuvor hatte sie mit ihrer Schauspielkollegin Eileen Atkins aus dem Briefwechsel zwischen Virginia und Vita Sackville-West gelesen: Kompromisslosigkeit, Charisma und eine eigenartige Fremdheit in der Welt – all das verbindet sie mit Virginia Woolf.

Beide haben etwas Sperriges, Aufsehenerregendes, Widerspenstiges. Sie sind schön, berückend schön, aber etwas zu groß, unbeugsam, eigenwillig. Eine Gestalt, die auffällt, aber nicht unbedingt gefällt, nicht schmeichelt, sich nicht klein macht. Als ein „Ausrufezeichen“ hat ein Kritiker sie in Antonionis London-Hommage „Blow Up“ beschrieben. Dabei räkelt sie sich nicht wie die Models vor dem Fotografen, sondern verführt, indem sie stark bleibt, spröde, verschlossen. Die Rolle der Romantikerin bleibt ihr verwehrt – bis ins Alter zumindest: 1992 spielt sie in der E.M.-Forster-Verfilmung „Howard’s End“, demnächst wird sie als ältere Briony in Joe Wrights Adaption von Ian McEwans „Abbitte“ zu sehen sein. Sie sei der seltene Fall einer Schauspielerin, die mit dem Alter immer besser werde, schrieb der US-Kritiker Roger Ebert.

Vielleicht hat man diese Unbedingtheit nur, wenn man von Geburt an mit Gleichgesinnten zusammen war: Der Großvater ein Stummfilmstar, der Vater Theaterschauspieler, Mutter, Bruder, Schwester, Töchter, Neffen – alles Schauspieler. Auch Redgrave beginnt auf der Bühne, wird Mitglied der Royal Shakespeare Company. Es sei ihr nie in den Sinn gekommen, etwas anderes als Schauspielerin zu werden, sagte sie einmal – höchstens Lehrerin, um die Welt zu verändern. Mit dem gleichen Weltverbesserungsimpetus engagiert sie sich politisch, hat gegen Nuklearwaffen, gegen den Vietnamkrieg, gegen Israels Palästinenser- und Russlands Tschetschenienpolitik protestiert. „Vanessa Redgrave ist eine Künstlerin, die sich nicht mit der Welt abfindet, wie sie ist“, so der deutsche Unicef-Chef.

Für ihre Haltung nimmt sie sogar Karriere-Nachteile in Kauf. Bei der OscarVerleihung 1978 kritisierte sie eine Gruppe von „Zionist hoodlums“, die gegen ihre Mitwirkung im Dokumentarfilm „The Palestinian“ demonstrierten – 1984 muss sie deshalb wegen Protesten der Jewish Defense League auf die Mitwirkung bei einer Broadway-Produktion verzichten. Man ist auch in Großbritannien vermutlich nicht ungestraft überzeugte Trotzkistin, Unterstützerin der IRA und Castro-Verteidigerin. 2004 gründete sie mit ihrem Bruder die „Peace and Progress Party“, die sich gegen den Irakkrieg und für Menschenrechte einsetzt. Sich exponieren, Unpopularität riskieren und nicht schweigen, wenn Unrecht geschieht: Der Ruf einer Unbequemen gereicht Vanessa Redgrave auch an ihrem 70. Geburtstag zur Ehre.

Christina Tilmann

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