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Kultur: Die verlorene Stadt

Das Gedächtnis lebt: Volker Koepps Dokumentarfilm „Dieses Jahr in Czernowitz“

Manche halten Dokumentarfilmer für Spesenritter, die ihren Beruf als Vorwand fürs Fernreisen betreiben. Bei aller Affinität zum Unterwegs trifft dies auf Volker Koepp gewiss nicht zu. Koepp ist eher der Typ Stammgast, der sich schon beim Abschied aufs Wiedersehen freut. Frau Zuckermann im bukowinischen Czernowitz hat er auch ohne Filmprojekt mehrmals seine Aufwartung gemacht.

Frau Zuckermann war die agile alte Dame, die gemeinsam mit ihrem misanthropischen Gegenspieler „Herr Zwilling und Frau Zuckermann“ zu einem der erfolgreichsten deutschen Dokumentarfilme machte. Eigentlich hätte sie auch in Koepps neuem Film auftreten sollen. Doch dann starb sie – drei Jahre nach Herrn Zwilling – kurz vor Beginn der Dreharbeiten, und mit ihr ein weiteres Stück des alten jüdischen Czernowitz.

Nur eine Todesanzeige ist nun zu sehen. Und ein wenig von Herrn Zwillings bitterer Melancholie ist vielleicht in den Schriftsteller Norman Manea gegangen, der am anderen Ende der Welt im Studierzimmer sitzt und das KZ und Amerika überlebt hat, wie er sagt.

„Dieses Jahr in Czernowitz“ sucht nach einer Stadt im Gedächtnis derer, die sie verloren haben. Man redet von Czernowitz, aber man lebt in New York, Wien, Berlin: Die wenigen Überlebenden der 100000 jüdischen Czernowitzer sind in alle Welt verstreut. Eduard Weissmann, 1945 im Ghetto geboren, jetzt in Berlin Cellist beim Deutschen Symphonieorchester. Die Schwestern Evelyne Mayer und Katja Rainer aus Wien. Der Literaturprofessor Norman Manea. Und der Schauspieler Harvey Keitel, dessen Mutter aus einer kleinen Stadt hinter den Bergen stammt.

Spurensuche: Zunächst wird viel geredet und in Fotoalben geblättert. Erst nach einer Stunde geht es auf die Heimreise in das unbekannte Land, in dem eine problematische Gegenwart wartet. Die wird von der polyglotten Sprachstudentin Tanja Kloubert vertreten, Koepps Dolmetscherin. Die filmische Außengrenze ist porös: Als Keitel auf einer Stadtbank ein Gedicht von Celan vorliest, spielen die Kinder hinter den Bretterzäunen mit der Kamera Versteck. Wenn Weissmann mit brüchiger Stimme erzählt, wie seine Großmutter von der Gestapo abgeholt wurde, muss er innehalten, weil dabei mit lautem Getöse ein Lada startet. Und der Deutsch-Czernowitzer Johann Schlamp betreibt mit anrührenden Gesangseinlagen seinen eigenen Flirt mit der Kamera.

Leider ist Koepp neben Frau Zuckermanns bezwingendem Humor zwischen Berlin und New York auch einiges von der kauzigen Alltäglichkeit abhanden gekommen, die den Charme seines Œuvres ausmacht. Doch auch die Welt draußen verliert vieles. „Dieses Jahr in Czernowitz“, ein Spiegelbild dieses Verlusts, ist einer der traurigsten Filme Koepps. Hinter den Fassaden stirbt die Stadt. Und Tanja ist nach Deutschland ausgewandert.

Blow Up, fsk, Hackesche Höfe, Neues Kant

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