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Er macht den Möbius. Virologe Christian Drosten.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

„Die Virologen“ – frei nach Dürrenmatt: Am Ende müssen alle Experten in die Irrenanstalt – bis auf einen

Dürrenmatt wollte mit „Die Physiker“ den Wahnsinn des Kalten Krieges zeigen. Nun haben wir Corona. Skizzen für eine neue Komödie im alten Stil.

Moritz Rinke lebt als Dramatiker und Schriftsteller in Berlin. Zuletzt wurde von ihm am Deutschen Theater Berlin das Stück „Westend“ uraufgeführt.

In dem Stück „Die Physiker“ von Friedrich Dürrenmatt lassen sich drei Wissenschaftler in eine psychiatrische Anstalt einweisen. Der erste, Möbius, hat die Atombombe erfunden, hält aber die Menschheit nicht für reif für seine wissenschaftliche Erkenntnis und täuscht Wahnsinn vor.

Alec J. Kilton ist auch Physiker, gehört aber eigentlich zum westlichen Geheimdienst, um an das Wissen von Möbius zu kommen. Der Dritte im Bunde, Ernesti, ist vermutlich von den Russen und will dasselbe. Es ging dem Schweizer Dramatiker Dürrenmatt 1962 um den Kalten Krieg.

Ich habe nun ein neues dramatisches Exposé entworfen, wir haben keinen Kalten Krieg mehr, wir haben Corona, das Stück heißt jetzt, frei nach Dürrenmatt, „Die Virologen“.

Bei Möbius habe ich sofort an den Charité-Virologen Christian Drosten gedacht, der sich in die Anstalt zurückzieht, weil er in einer Studie etwas herausgefunden hat, das unermessliche Folgen haben könnte, so ähnlich wie eine Atombombe.

Da er aber sich und seine Familie vor der Veröffentlichung dieser unglaublichen wissenschaftlichen Erkenntnis schützen muss (Morddrohungen, Social Media), gibt er also lieber vor, wahnsinnig zu sein.

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Bei Alec J. Kilton hatte ich sofort eine Vision: Alexander S. Kekulé, der Hallenser Virologe und Biochemiker, den wir alle aus dem Fernsehen kennen! Vielleicht ist er nicht mehr Agent eines westlichen Geheimdiensts, sondern Agent der „Bild-Zeitung“.

Dürrenmatt nennt solche dramatischen Zuspitzungen „die schlimmstmögliche Wendung“. Hintergrund ist natürlich diese fiese, unwissenschaftliche Kampagne der „Bild“ gegen Drosten und dessen Studie über die Infektiosität von Kindern, die Kekulé ebenfalls scharf kritisierte.

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Bei der Recherche habe ich herausgefunden, dass Alexander S. Kekulé, so sagen die anderen Virologen, schon seit Ewigkeiten nichts mehr selbst erforscht habe und sich gewissermaßen nur als Virologe inszeniere. Weil: Wer momentan Virologe ist, der wird erhört.

Kekulés Vater war Regisseur und hat „Peterchens Mondfahrt“ verfilmt (die Abenteuer des Maikäfers Sumsemann), die Mutter schrieb Drehbücher („Morgen in Alabama“, „Die furchtlosen Vier“ mit Mario Adorf), da fällt der Apfel nicht weit vom Stamm!

Der Sohn ging auch auf eine Waldorfschule, da kommt man früh mit Märchen und Theater in Verbindung. Ich war schließlich auch Waldorfschüler, und man glaubt gar nicht, was wir in der 12. Klasse gespielt haben: „Die Physiker“.

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In meiner neuen Komödie ist mittlerweile ein schlimmer Konkurrenzkampf unter den Virologen in der Anstalt ausgebrochen, den die Pfleger für schlimmer halten als das Virus selbst. Wer war öfters in den Talkshows? (Kekulé, in allen) Wer hat die meisten Views bei Youtube? (Drosten) Wer hat den beliebtesten Podcast? (Drosten) Wer influenct die Kanzlerin? (wieder Drosten!) Wer führt insgesamt im Virologen-Presse-Ranking? (Eindeutig Drosten)

Mein kekuléhafter Scheinvirologe stürzt sich also hasserfüllt auf meine drostische Möbius-Figur, auch im Auftrag von „Bild“! Und jetzt kommt Ernesti noch dazu, der Dritte, da hatte ich an den SPD- Epidemiologen Karl Lauterbach mit der roten Fliege gedacht, ich nenne ihn „Karlchen überall“, der auch in jeder Talkshow sitzt, den würde ich aber jetzt noch besessener darstellen.

Ich würde auch immer weitere Virologen einliefern lassen: so einen jüngeren aus Bonn, der aussieht wie der Typ aus „50 Shades of Grey“, kommt aber im Auftrag von Armin Laschet, CDU, was wiederum sehr nah an Friedrich Dürrenmatt ist.

Dann kommt noch eine schöne Virologin aus Braunschweig, und sogar Verschwörungstheoretiker lassen sich einweisen: Typen wie dieser weißhaarige Lungenarzt Wodarg (Das Virus gibt’s gar nicht!), der sich auf Lauterbach stürzt und ihm die Fliege abreißt.

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Der Armin-Laschet-Entsandte stürzt sich auch auf Karlchen überall und auf den drostischen Möbius, dem die Irrenärztin rettend beispringt, da hatte ich, na klar, an eine Angela-Merkel-Figur gedacht, die wiederum von völlig zu Recht eingewiesenen Reichsbürgern und Impfgegnern attackiert wird, die permanent „Bill Gates, Bill Gates!“ brüllen.

Es geht drunter und drüber, niemand achtet mehr auf Abstände, man sieht noch die merkelhafte Irrenärztin mit einem Zentimetermaß, das ihr aber von Wodarg entrissen wird. Mittendrin mein kekuléhafter Scheinvirologe (kekulesk, Kafka?), der interviewt wird von ARD und ZDF.

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Anne Will und Markus Lanz sind auch in der Irrenanstalt. Plasberg drängelt sich noch rein, hart aber fair. Das Schlimmste, sagte Dürrenmatt, kann nur in der Komödie dargestellt werden.

Am Ende lasse ich meine drostische Möbius-Figur eine wegweisende Entscheidung treffen. Er beschließt, nicht mehr den Wahnsinn vorzutäuschen, sondern diesen einzigartigen Planeten mithilfe der Wissenschaft zu retten.

Zusammen mit der bundesrepublikanischen Irrenärztin verkündet er in der „Bild-Zeitung“ den Lockdown der Gesellschaft für 25 Jahre. Die letzten Worte hat Dürrenmatt: „Denn sonst werde die Menschheit in den Wüsten des Mondes im Staub versinken, in den Bleidämpfen des Merkurs verkrochen, sich in den Ölpfützen der Venus auflösen.“ Vorhang! Jetzt muss ich nur noch einen Regisseur finden, der das mit „Safer acting“ inszeniert. Und ich brauche Publikum!

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