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Kultur: Die wahre Unschuld

„Shrek 2“ist ein Film für die ganze Familie, sagen die Produzenten. Wir machen die Probe: Fünf Stimmen – fünf Meinungen

Von Gregor Dotzauer

Das Kind. Also in „Shrek 2“ rülpst und furzt auch wieder dieses grüne Sumpfungeheuer durch die Gegend. Und es ist glücklich, weil es die Prinzessin Fiona aus ihrem Drachenschloss befreit hat, und jetzt sind sie Mann und Frau. Und dann fahren sie in das Land Weit Weit Weg zu den Eltern von Fiona, dem König und der Königin. Die finden Shrek ganz schrecklich und denken, warum sieht Fiona genauso grün und schrecklich aus. Und dann kommt die Gute Fee, die aber gar keine Gute Fee ist, und will, dass der König Shrek umbringen lässt, damit ihr Sohn Prinz Charming Fiona haben kann. Und dann gibt sie Fiona einen Zaubertrank, damit sie schöner aussieht. Auch Shrek sieht plötzlich nicht mehr wie ein Ungeheuer aus, und alles geht total durcheinander. Am Ende ist aber wieder alles gut, und die meiste Zeit ist es total lustig.

Am lustigsten ist es, als Shrek und sein Freund, der Quasselesel, nach Weit Weit Weg reisen und der Esel dauernd fragt: Sind wir schon da? Wir sind doch schon da? Sind wir jetzt vielleicht da? Warum können wir nicht endlich da sein? Und noch lustiger ist der Gestiefelte Kater. Der war beim ersten Teil von „Shrek“ noch nicht dabei und spricht ziemlich komisch, wie ein Spanier, eben gar nicht richtig Deutsch. Und der kann so lieb kucken, dass ihm keiner glaubt, wie böse er mit dem Degen werden kann. Zorro, sagt mein Vater, wegen Zorro ist das lustig. Er sagt aber auch, dass ich „Shrek 2“ nur halb verstehe, wenn ich nicht weiß, wer Zorro ist, weil „Shrek“ nämlich ein Film für Erwachsene ist.

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Der Erwachsene. Nichts Schwierigeres als ein Film für die ganze Familie. Entweder überfordert man die Kinder oder man ignoriert die eigenen Ansprüche. Und oft kann man sogar beides haben. Da sind diese computeranimierten Filme in den letzten Jahren schon eine kleine Offenbarung. Die „Toy Story“ und „Die Monster AG“, „Das große Krabbeln“ und „Findet Nemo“ sind bei aller Verankerung im klassischen Cartoon schon deshalb ein neues Genre, weil sie auf zwei unterschiedlichen Ebenen funktionieren. Die Kinder amüsieren sich über die Geschichten, die Erwachsenen freuen sich über die Anspielungen auf deren Ressourcen.

Wie lustig soll es ein Kind finden, dass Antonio Banderas (in der ausgezeichneten deutschen Synchronisation gesprochen von Benno Fürmann) als Stimme hinter dem Gestiefelten Kater an seinem eigenen Macho-Image kratzt? Die eine Hälfte des Publikums erlebt das Geschehen also unmittelbar, die andere ironisch. Die erste Folge, „Shrek – Der tollkühne Held“, war vermutlich genauso doppelgleisig kalkuliert – und ging schlicht daneben. Am Ende war es ein Film vor allem für Erwachsene: mit einigen höchst unanständigen Späßen und einer Bosheit an der Grenze zum Zynismus. Mit „Shrek 2“ haben die Macher das in umgekehrter Richtung wieder gutzumachen versucht. Tröstlich, dass ihnen das nicht ganz gelungen ist.

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Der Animationsexperte. Technisch gesehen, übertrifft „Shrek 2“ seinen Vorgänger bei weitem. Neue Prozessoren, neue Software, neues Glück. Schon mal gehört von bounce shading, subsurface scattering und mega controlling? Das Erste verbessert die Reflektionen in einem virtuell ausgeleuchteten Raum und lässt ihn natürlicher wirken. Das Zweite verleiht der Haut ganz untechnischen Glanz und Transparenz. Und das Dritte verhilft komplexem mimischem Ausdruck zu einer exakten Steuerung.Allein Shreks Gesicht hat 218 digitale Muskeln.

So täuschend dreidimensional und lebensecht hat „Shrek“ also noch nie gewirkt. Aber was bedeutet das? Liegt der Reiz animierter Filme nicht gerade im dezenten Bruch mit der Wirklichkeit von Spielfilmen? Hat ein gezeichneter Film wie Syvain Chomets „Das große Rennen von Belleville“ nicht Vorzüge gegenüber der Computeranimation von „Shrek“ – auch wenn sie einander sonst in Sachen Schräg- und Gemeinheit fast ebenbürtig sind? An der Kasse hat das keine Rolle gespielt: „Shrek 2“ ist in Amerika der erfolgreichste Animationsfilm aller Zeiten.

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Der Kulturtheoretiker. „Shrek“ – nach einer drastisch aufgepeppten Vorlage des amerikanischen Kinderbuchautors William Steig – war der Aufbruch in ein neues Zeitalter: die Rückeroberung einer erzählerischen Unschuld durch die Allgegenwart des Zitats. Der Film beschäftigte sich so sehr mit den eigenen Voraussetzungen, dass er sie darüber vergaß. Chefregisseur Andrew Adamson wagte die vollkommene Synthese durch die Aufhebung aller Gegensätze von Vergangenheit und Gegenwart, weit über die parodistische Verkehrung von Versatzstücken hinaus, wie sie die Umdeutung des bösen Drachen zur zartliebenden Seele erfährt. „Shrek“ lebte vom Wissen, dass man heute nicht einfach Märchen erfinden kann, in der Hoffnung, dass schon niemand merken wird, wie armselig die spontane Einbildungskraft gegenüber einer halben Ewigkeit menschlicher Fantasie dasteht. Nein, man muss sich gleich auf die Schultern von Riesen stellen und an den Ohren der Gebrüder Grimm, von Carlo Collodi und von Walt Disney festhalten. Dann, nur dann, hat man eine Chance, jemals wieder den Horizont zu sehen.

„Shrek 2“ ist dagegen ein parodistischer Rückfall in die Postmoderne, in der für jede Zielgruppe ein paar augenzwinkernde Anspielungen dabei sind, die nur der ideale Zuschauer alle entschlüsselt.

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Der Zitatensammler. Das „Far Far Away“- Logo von Weit Weit Weg sieht aus wie das Hollywood-Zeichen in den Hügeln von Los Angeles. „Farbucks Coffee“ und „Burger Prince“ erinnern an... na, das muss man nicht erklären. „Star Wars – Die Rückkehr der Jedi“ dient als Kulisse, der „Herr der Ringe“ wird aufgespießt und in einer langen Sequenz „Mission Impossible“ gewürdigt. Im Königsschloss hängt Ritter Justin an der Wand, dem eindeutig Justin Timberlake als Vorbild gedient hat. Der Wolf liest die Bademodenausgabe von „Pork Illustrated“ vulgo „Sports Illustrated“, und Pinocchio sowie Hänsel und Gretel haben Gastauftritte. Doch bevor das Dechiffrieren länger dauert als der Film mit seinen 105 Minuten, sollte man sich fragen, was danach noch bleibt.

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Der Musikfan. Mit einem Soundtrack, der Neil Diamond, Antonio Carlos Jobim und Joan Jett zusammenspannte, war „Shrek“ ein echtes Gesamtkunstwerk. Und „Shrek 2“ gibt sich alle Mühe, diese um Kitsch- und Retrosorgen unbekümmerte Frechheit zu wiederholen: mit Stücken von den Eels, von Le Chic, Pete Yorn, Tom Waits und Nick Cave. Doch es ist nichts dabei, was einem das Herz so zerreißt wie John Cales „Broken Hallelujah“. Vor allem gibt es kein Stück, das eine ähnlich zentrale Funktion für das Ganze hätte wie das von Leonard Cohen komponierte Klagelied in der Stunde von Shreks größter Liebesverzweiflung.

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Das Kind. Hinterher hat mein Vater gesagt, dass er lieber noch zehn Mal den ersten „Shrek“ sehen würde statt den zweiten. Aber warum hat er dann ständig so laut gelacht, dass ich manchmal fast gar nichts mehr verstanden hab?

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