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Kultur: Die Wüste schwebt

Ende eines afrikanischen Wirtschaftswunders: Idrissou Mora-Kpai porträtiert „Arlit, ein zweites Paris“

Von Gregor Dotzauer

Eine Wüstenstadt in Niger. Aus der Sahara, die sie von Algerien trennt, wehen Sandnebel durch die Straßen. Es ist, als hätten sie Arlit, das sonst ganz in Trauer gehen müsste, mit tröstlichen Rot-, Orange- und Ockertönen eingefärbt: ein Wirtschaftswunder am anderen Ende der Hoffnung, das nur noch als Transitraum für Wanderarbeiter aus allen Ländern Schwarzafrikas funktioniert. „Hauptsache, ich sterbe in Frankreich“, sagt einer, „dann habe ich es geschafft.“

Gleichmütig stemmt sich Arlit dem Untergang entgegen. Die kurze wirtschaftliche Blüte, die in den siebziger und achtziger Jahren der Uranabbau in den zehn Kilometer entfernten Minen brachte, ist dahin. Tuaregaufstände und Preisverfall haben die internationalen Investoren zum Rückzug bewogen. Arlit hat sich in eine Kapitale des Wartens, der Arbeitslosigkeit und der Langeweile verwandelt. Hinter dunklen Hauseingängen tun sich Dutzende von Krankenlagern auf; der sorglose Umgang mit der radioaktiven Strahlung lässt so manchen vom einen auf den nächsten Tag niedersinken.

Geblieben ist nur der Ruf der Stadt als zweites Paris: geboren aus dem Staub und berufen zur Pracht. Als Lockmittel für die anhaltenden Migrantenströme, die Schleuser und Schmuggler am Leben halten, reicht das. Idrissou Mora-Kpai, 1967 in Benin geboren und heute in Frankreich zu Hause, porträtiert in seiner Dokumentation „Arlit, deuxième Paris“ die Stadt und ihre Bewohner. Er hat ein Auge für Arlits rissige Schönheit und für seine furchterregende Ödnis. Beidem spürt er nach, in statuarischen Details und ausgedehnten Schwenks, und er lässt diejenigen berichten, die hier tapfer ihren Überlebenskampf führen.

Für Mora-Kpais Protagonisten, den alten Issa, der nach 17 Jahren in Europa in seine Heimat und zu seinem Sohn zurückkehrt, ist es die Begegnung mit einer absurden, doch ganz und gar nicht erfundenen Welt. Nichts verkörpert sie treffender als die zwei Bedienungen im Café. In der Hoffnung auf ein besseres Leben sind sie nach Arlit gereist, die eine hat dafür sogar ihre Familie mit den beiden Kindern im Stich gelassen. Nun verbringen sie ihre Zeit am Tresen schlafend. Die Getränke sind ausgegangen – und Gäste nicht in Sicht.

„Arlit, deuxième Paris“ ist ein ebenso poetischer wie politischer Film über das Elend, das entsteht, wenn ein wild gewordener Kapitalismus erst sein Spiel mit ahnungslosen Hasardeuren treibt und sie dann ihrem Schicksal überlässt. Er erzählt von medizinischer Versorgung, die nur der Beruhigung des unternehmerischen Gewissens dient. Und er verrät eine Menge über die Migrationsirrungen in den Herkunftsländern der Armutsflüchtlinge. Vor allem aber erinnert er daran, in welchem Maß Bewohner des Westens Verschonte sind. Das ist ein reiner Effekt und kein moralisches Programm. Als Kehrseite der Rettung, von der die in Arlit Gestrandeten träumen, gehört es zu den Stärken dieses Films.

In Berlin im fsk am Oranienplatz

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