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Kultur: Die Zarin ist ein Transvestit

Wo, bitte, liegt das St.Petersburg, das als Mythos in Tschaikowskys "Pique Dame" Gestalt angenommen hat?

Wo, bitte, liegt das St.Petersburg, das als Mythos in Tschaikowskys "Pique Dame" Gestalt angenommen hat? In der Neuinszenierung an der Stuttgarter Oper offenbar weit entfernt von der Newa, denn nichts im Bühnenbild von Reinhard von der Thannen deutet auf die russische Zarenmetropole als Schauplatz der Oper hin.Mit seinem schwarzen Art-Deco-Bühnenraum und seinen Leuchtlaufbändern suggeriert es eher das St.Petersburg in Florida, am Golf von Mexiko, wo eine Art Luftbrückendenkmal in den Himmel ragt, das sich am Schluß wie ein Sargdeckel auf die Szene herabsenkt.Russisch sind allenfalls von der Thannens Kostüme, die todschicken Offiziersuniformen, die pelzbesetzten Toiletten der Damen, die Kittel und Häubchen der Dienstmädchen und die Kinderkleider.Der Ballsaal im fürstlichen Palais hingegen läßt eher auf einen Nachtclub schließen - mit einem Transvestitenauftritt der Zarin Katharina.

Daß Puschkin, Tschaikowsky und die russische Seele gleichwohl nicht zu kurz kommen, dafür sorgen Oleg Caetani am Pult des Staatsorchesters, das er zu leidenschaftlicher Emphase aufpeitscht, und der von Ulrich Eistert süperb präparierte Chor.Auch Vladimir Kouzmenko als German, der zwischen seiner Spielleidenschaft und seiner unstandesgemäßen Liebe hin und her gerissene Held, trägt mit seinem titangestählten Tenor dazu bei, und schließlich Johannes Schaaf als Regisseur dieses nervenkitzelnden Opernkrimis.Und so ist aus Stuttgart die Premiere einer "Pikovaja dama" großen Formats in jeder Beziehung zu vermelden - vierundzwanzig Jahre nach Günther Rennerts legendärer Inszenierung mit der unvergessenen Martha Mödl in der Rolle der Gräfin, die diesmal eine andere Veteranin der internationalen Opernszene übernommen hat - die einst als Callas-Nachfolgerin gefeierte Elena Souliotis.

Von Caetani schon im Vorspiel nuanciert ziseliert und dann im folgenden in großen Bögen, mit enormen Steigerungen, leidenschaftlich ausmusiziert, läuft Schaafs Inszenierung ganz allmählich in Genreszenen an.Zunächst in eher läppischen Kinderspielen, dann in der Mädchenidylle in Lisas Schlafzimmer als Karnevals-Scharade von lauter Absolventinnen des Smolny-Konvents in Reformkleidchen mit gymnastischen Ballettübungen; und auch die Ballszene zerläppert noch in marionettenhaften Gesellschaftsritualen, mit dem Schäferspiel als groteskem Mohrenintermezzo mit anschließendem Striptease.Erst nach der Pause zieht Schaaf die dramatische Schraube an, beschwört Souliotis in nostalgischer Verklärung mit bemerkenswert fester Stimme ihre Vergangenheit als Venus von Moskau am Hof von Versailles, zahlt sich aus, daß die Gräfin nicht permanent an ihren Rollstuhl gefesselt ist, denn so kann Schaaf sie mit German in einen Todestanz verstricken, der mehr und mehr dämonische Züge annimmt.

Von Szene zu Szene gewinnt die Aufführung an spukhafter Atmosphäre und Spannung - nicht nur durch die Besessenheit, mit der Kouzmenko seinen psychischen Verfall seh- und hörbar macht - bei differenziertestem Einsatz seiner offenbar unerschöpflichen stimmlichen Mittel -, sondern auch durch die Ausweglosigkeit, durch die sich Angela Denoke als Lisa in ihrer Liebe zu German verstrickt.Mit ihrem wunderbar leuchtenden jugendlich-lyrischen Sopran hält sie die Rolle in einer intelligenten Balance zwischen Sensibilität und Fragilität, ohne jede plakative Opernhaftigkeit.

Da Stuttgart auch die anderen Rollen mit kraftvollen und persönlichkeitsstarken Sängerdarstellern besetzt hat - Hernan Iturralde als Tomsky, James Johnson als Jeletzky, Maria Theresa Ullrich als Polina -, ist die Publikumszustimmung am Ende einhellig.

Weitere Vorstellungen am 27.Januar, 2., 6., 10., 14.und 21.Februar.

HORST KOEGLER

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