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Kultur: Die Zugspitze aufs Matterhorn

Blut, sehr viel Blut ist der Preis für die Liebe.Radikaler gesagt: für das Beutestück Mann.

Blut, sehr viel Blut ist der Preis für die Liebe.Radikaler gesagt: für das Beutestück Mann.Die kriegs- und kampfgestählte Kindfrau, die auszog, sich den Mann zu erstreiten, weiß nichts von der Liebe, aber alles vom Krieg.Wie ein Vulkanausbruch überfällt sie das Gefühl für den einen, den einzigen, den sie sich erkor.Da sie mit der Konsequenz einer Kriegskönigin ihrem Gefühl folgt, kämpft sie schlußendlich gegen sich selbst, gegen den Mann, gegen die Liebe.Ist der Krieg, der idiotische, schuld, der selbst einen Odysseus um seinen so wendig funktionierenden Verstand bringt? So das Grundsatzprinzip, nachdem Andreas Kriegenburg am Münchner Residenztheater Kleists über- und unmenschliche Tragödie "Penthesilea" inszenierte.Mit seiner Titelheldin Natali Seelig wechselt der Regisseur in der nächsten Spielzeit an die Wiener Burg.Eine Premiere, die vor nervöser Erwartungshaltung brummte, nach anstrengenden dreieinhalb Stunden hochachtungsvoll endete.Der mit Recht für seine empfindlich-explosive Innenschau auf Stücke von Lorca, Büchner, Ibsen gerühmte Kriegenburg hat sich mit Kleists monolithischem Trauerspiel um einiges verhoben.Als aufklärerischer Humanist hat er den fremdartigen Kosmos erforscht, er hat viel, zu vieles gefunden.Und sich zeitweilig stochernd verheddert.

Den Ida auf den Ossa wälzen will sie, die Zugspitze also aufs Matterhorn türmen, schreit Penthesilea.Sie will sich das Idol Achill erlegen, ihn heimschleppen zum Liebesakt, koste es was es wolle.Die hohen Staats-Amazonen wenden sich ab, brechen in Spottgelächter aus.Auf der riesigen, sandfarbenen Bühne (Robert Ebeling) türmt die zierliche Natali Seelig zwei Backsteingebilde aufeinander, steigt drauf, um die aberwitzige Provokation in die hochgespannten Himmelssegel zu rufen.Sonst würde man die kleine Königin vielleicht nicht sehen, die Kriegsgötter könnten sie nicht hören in dieser Weltwüste, die die Menschen winzig macht.Das Bild von schöner, zerbrechlicher Zartheit findet später, wie viele gestische Details, eine Entsprechung.Achill, ein stiller Blonder (Roland Koch, Kriegenburg-Schauspieler aus Hannover), will der ohnmächtigen, von ihm besiegten Penthesilea ein sanftes Erwachen bescheren.Ratlos, äußerst behutsam, räumt er den hohen Stein beiseite.Um doch wieder - den Ida auf den Ossa wälzen - den Sockel zu türmen.Für Penthesileas Illusion als Siegerin über den Mann.Die sie nicht ist.Aber sein muß - für die Liebe.

Solch empfindliche, körperlich beredte Aktionen sind die Wunder der Inszenierung, und sie lassen das Stück auf die Länge zerbröseln.Schockierend laut und sogleich rasend ins Unbegreifliche (das Kleist-Ziel) beginnt der Abend.In blutigen Klamotten, erschöpft ihre Wunden pflegend, reden die Griechen vom Erscheinen der wilden Weiber aus Skythien vor Troja.Exotische Amazonen, die gegen alles und jeden kämpfen, so es nur Mann ist.Da bricht für Odysseus, einen interessant gebrochenen Rhetoriker (Joachim Nimtz), eine Männerwelt zusammen.Zumal der junge Diomides (glänzend Heiko Raulin) mit der Singfistelstimme eines Irren seinen toten Hund beklagt, den er wie einen Teddy auf Armen trägt.Ein seelenversehrter Krieger, den keiner mehr auf die festen Heldenbeine stellen kann; er torkelt, stürzt, klagt, bis die Kerle ihm das blutige Hemd einer toten Amazone überstülpen.Ein Grenzgänger zwischen den Geschlechtern, zwischen Liebe und Krieg, gegen die Riten der Männerwelt.

Wenn Kriegenburg erstmals die Amazonen auf die Bühne läßt, dann sind das wundgeschriene, tobende, sehr junge Mädchen in bleichen, blutversauten Seidenhemden.Ohne die berüchtigten Bogen-Waffen, dafür trimmen sie ihre Muskeln wie die Wilden an einer stählernen Punching-Trommel.Auf der später - oh deutscher Spießerkitsch, laß nach! - Achill in der Liebesszene seinen zerknäulten Sakko als Baby-Attrappe schaukeln wird.Achtung, Zeigefinger.

Die Jungmädchenbrut (mehr als eine Prise Zeitgeist dabei) der Amazonen ist das labile Zentrum der Inszenierung.Einerseits anrührend, weil man erkennt, daß sie - nach den pervertierten Gesetzen eines Männerstaates - bestens gedrillte Kriegerinnen sind.Das Wesen Mann dagegen ist ihnen unbekannt, blumenbekränztes Nachwuchserzeugungsobjekt mit einem vagen Traum von Mehr.Daß nun der wildesten, der radikalsten von ihnen das Gefühl der absoluten Liebe mit grenzenloser Wucht widerfährt, verkleinert den Fall Penthesilea gefährlich zur Pubertätstragödie.Kindertragödie, wie das bei Wedekind heißt.

Natali Seelig, eine Schauspielerin, die jede Emotion auch körperlich in die äußerste Leidenschaft treibt, tut sich schwer zwischen den Extremen.Am glaubwürdigsten ist die schöne, nach innen genommene Verklärung der Liebe.Da zeigt sie ungewohnte Würde, Weichheit, Facetten des Zweifelns.Als kleine Queen, die wissend gegen das eiserne Gesetz des Frauenstaates handelt, wirkt sie manchmal doch wie ein aufsässiger Teenager.Die Hybris des Alles-Ich, Alles-Mein hat eine zu kurze Reichweite.

Zugute halten muß man Kriegenburg, daß er Kleists Text einfach ernst nimmt, ihn nicht mit eleganter Ironie umschleicht, wie das einst Alexander Lang - ebenfalls in München - tat.Kriegenburg leistet auf eine eigentlich sympathische Weise Trauerarbeit an Kleists Trauerspiel.Mit der geliebt-gefürchteten Sprache kommt er nur bedingt zu Rande.Er will den Vers, den Rhythmus, die Grammatik der erregten Verstörungen wahren.Andererseits, das offenbart seine Inszenierung deutlich, ist er ein Künstler gerade der einprägsamen, bis zur Verletzung reichenden Körpergestik, der bildnerischen Ensemble-Bewegung.So ragen Sprachblöcke, wunderbar schlicht geführt und meist erfahrenen Schauspielern anvertraut (so Elisabeth Rahts Meroe-Bericht von der Verstümmelung des Achill) aus der Aufführung.Wenn die Jungen schreiben oder flüstern, versteht man sie oft nicht.Dann lagert hochachtungsvolle Ermattung über dem Parkett.Gleichgültig lassen kann einen weder das Stück noch die Inszenierung.

Wieder am 24.März und 1.April

INGRID SEIDENFADEN

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