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Raubgrabungen in der babylonischen Stadt Isin. Beim Handel mit Antiken bleibt die Herkunft der Ware gerne im Verborgenen.

© DAI

Die Zukunft der Museen: Auch Kunst braucht einen Pass

Eckart Köhne, Präsident des Deutschen Museumsbundes, über Raubgrabungen, das Kulturgutschutzgesetz und Flüchtlinge als die neuen Besucher.

Herr Köhne, der Deutsche Museumsbund, eine Gründung des Kaiserreichs, feiert 2017 sein 100-jähriges Bestehen. Braucht es eine solche Organisation überhaupt noch?

Mehr denn je. Wir haben keine ungebrochene Geschichte, der Verband wurde im Dritten Reich gleichgeschaltet und lag bis Anfang der Sechziger brach. Seit 2006 hat sich unsere Mitgliederzahl verdoppelt – mit 825 Institutionen und 2000 persönlichen Mitgliedern, die viele weitere Museen repräsentieren. Das ist bei mehr als 6000 Museen in Deutschland eine Menge. Alle großen Häuser sind dabei, bis hin zu privaten Einrichtungen. Das zeigt: Wir werden gebraucht.

Welche Herausforderungen stellen sich Ihnen: die Digitalisierung, die Aktivierung neuer Besuchergruppen?

Eine Grundaufgabe der Museen besteht darin, sich mit der Gesellschaft zu wandeln. Bei der Digitalisierung gibt es Nachholbedarf, auch angesichts eines veränderten Publikums. Die Auffassung von Kultur hat sich verändert. Der vor zwei Generationen an der Schule erlernte Kanon ist ein anderer geworden. Heute werden eher Kompetenzen vermittelt, weniger Wissen. Die Museen müssen sich darauf einstellen und dürfen nicht länger einseitige Wissensorte sein, sie müssen in einen Dialog mit dem Publikum treten.

Wie steht es neben der Vermittlung mit den anderen drei traditionellen Aufgaben: Sammeln, Bewahren, Forschen?

Museen haben immer eine Sammlung, daraus ergibt sich das Bewahren. Sie sind wie Eisberge, sechs Siebtel liegen unter Wasser: die Pflege der Sammlung, die Vernetzung mit anderen Häusern, Universitäten. Das Publikum erlebt das schicke Siebtel: die Ausstellungen, die Schausammlung, die Museumspädagogik.

In den letzten 20 Jahren hat sich die Arbeit am Museum enorm gewandelt: Es gibt kaum Etats für Ausstellungen und Ankäufe. Was raten Sie einem Direktor, der erst einmal dem Geld hinterherlaufen muss?

Kultur läuft grundsätzlich dem Geld hinterher; das ist betriebsbedingt. Für eine Ausstellung bekommt man leichter Unterstützung als für das Depot oder einen Bestandskatalog. Selbst wenn die Etats nicht gekürzt werden, schrumpfen sie durch die Kostensteigerungen, die nicht ausgeglichen werden. Diese Auszehrung betrifft gerade die Grundlagenarbeiten. Andererseits lassen Träger wie Hessen oder Baden-Württemberg den Wert ihrer Sammlungen schätzen, um sie im Landeshaushalt zu bilanzieren oder als stille Reserve zu nehmen. Hoffen wir, dass dies kein Signal dafür ist, das Tafelsilber abzustoßen.

Genau dies ist in Nordrhein-Westfalen mit der Versteigerung zweier Warhols aus dem Bestand der landeseigenen Casino-Gesellschaft geschehen. Sehen Sie darin etwas Unsittliches?

Ja, die Bilder wurden mit Steuergeldern bezahlt und sollten keine Spekulationsobjekte sein. In der Preiskategorie sind sie nicht mehr zu ersetzen. Und wenn der Großteil des eingenommenen Geldes dann im Landeshaushalt versickern würde, wäre das unakzeptabel. Die Landesregierung von NRW demonstriert damit leider, dass Kultur keine politische Priorität mehr hat.

Durch eine Bewertung bekommt ein Kunstobjekt letztlich ein Preisschild umgehängt und steht damit im Schaufenster.

Das sehe ich weniger bedrohlich. Ich nehme den Trägern erst einmal ab, dass sie sich ihrer Werte vergewissern wollen. Schließlich setzen sie viel Geld dafür ein. Natürlich weckt das auch Begehrlichkeiten. So gab es in Landtagen schon Anfragen, ob bestimmte Objekte in den letzten zehn Jahren noch ausgestellt waren und womöglich zur Disposition stehen. Dem muss man entgegentreten.

Und wie wehren Sie da den Anfängen?

Eckart Köhne, 49, Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe, ist seit 2014 Präsident des Deutschen Museumsbundes.
Eckart Köhne, 49, Direktor des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe, ist seit 2014 Präsident des Deutschen Museumsbundes.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wir schreiben den betreffenden Politikern Briefe und erklären die Funktion der Museen. Die Novellierung des Kulturgutschutzgesetzes ist ein wichtiger Schritt, die Sammlungen zu schützen und einem Ausverkauf entgegenzuwirken.

Die Debatte um die Novellierung wurde 2015 heiß geführt. Warum hat sich der Museumsbund erst so spät eingeschaltet?

An den Aussprachen waren wir immer beteiligt. Anders als die Händler aber haben wir kein wirtschaftliches Interesse. Statt zu emotionalisieren, bemühen wir uns um Sachlichkeit und haben uns deshalb erst spät in den Medien geäußert. In der Novelle kommen zwei bisher getrennte Dinge zusammen: der Abwanderungsschutz für national wertvolles Kulturgut und die Kontrolle dessen, was ins Land kommt und es verlässt. Den Abwanderungsschutz gibt es seit 1955. Es wird also über längst geltendes Recht gestritten.

Was bringt den Kunsthandel dann auf?

Im Kern geht es um Struktur und Transparenz. Und um Geld. Der Kunsthandel funktioniert nach einem Geschäftsmodell der Barockzeit: Connaisseur und Händler tauschen sich über den Eigenwert eines Objektes aus, die Hintergründe – insbesondere die Provenienz – bleiben ausgeblendet. Der Weg der Kulturgüter ist nicht nachvollziehbar. Das ist nicht mehr zeitgemäß. Wer heute eine Tütensuppe kauft, kann lesen, was drin ist. Bei Bioprodukten erfährt man sogar, wo die Kuh geweidet hat. Auch Kunstobjekte brauchen einen Pass, in dem steht, woher sie kommen, welchen Weg sie genommen haben. Dann sind alle auf der sicheren Seite. Die nun geplanten Ein- und Ausfuhrregelungen sind ein Schritt in Richtung Transparenz.

Was nützt das Gesetz den Museen?

Museen sollten nach den ethischen Richtlinien des International Council of Museum handeln. Dazu gehört, dass sie rechtmäßige Eigentümer ihrer Sammlungen sind. Deswegen wollen wir wissen, woher die Objekte stammen. Wenn sie unrechtmäßig ins Museum gekommen sind, müssen wir Konsequenzen ziehen. Diese Forderung ist nicht erst seit Gurlitt relevant, sondern steht seit 20 Jahren im Fokus. Umso wichtiger wäre es, im aktuellen Kunstgeschäft die Provenienzen anzugeben. Wir können doch nicht im Fall Gurlitt fordern, dass das letzte Grafikblatt geklärt wird, und gleichzeitig akzeptieren, dass der Handel nicht offenlegen muss, woher seine Stücke stammen.

Denken Sie insbesondere an archäologisches Kulturgut?

Ja, leider aus aktuellem Anlass. Archäologisches Kulturgut findet sich nicht einfach auf dem Dachboden. Solche Objekte stammen vielfach aus illegalen Grabungen. Bislang galt als geschützt, was im Herkunftsland auf einer Liste stand. Aber wie kann ein Stück aus einer Raubgrabung in einer Liste erfasst sein?

Bleibt die Bundesrepublik also eine Drehscheibe für illegalen Handel?

Hier wird die Gesetzesnovellierung helfen. Diebesgut kann zur Zeit noch nach Deutschland gelangen, weil nach aktueller Gesetzeslage für die Einfuhr keine Ausfuhrgenehmigung nötig ist. Es reicht, dass der Anbieter erklärt, Eigentümer zu sein. Das wirkt verlockend. Kunst boomt, die Preise steigen. Es lohnt sich, in Kunst anzulegen, auch um Schwarzgeld unterzubringen. In Zeiten von Niedrigzinsen und wirtschaftlichen Bedenken sind Kunstobjekte bleibende Werte. Der Goldpreis schwankt, aber bestimmte Gemälde und Archäologica gehen kontinuierlich nach oben. Man kann also mit einer entsprechenden Rendite rechnen.

Wieso ist die Provenienzforschung so spät auf die Agenda der Museen gekommen?

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Die Washingtoner Erklärung wurde unterzeichnet. Die Herkunftsländer sind beim Schutz ihres Kulturguts energischer geworden. Globalisierung und Digitalisierung erleichtern es, unbequeme Fragen zu stellen. Wer in den siebziger, achtziger Jahren archäologische Objekte kaufte, konnte wissen, dass viele davon nicht legal ausgeführt waren. Zwischen Museumsdirektor und Händler gab es ein gegenseitiges Einverständnis: Fragst du mich nicht, frage ich dich auch nicht. Deutsche Museen haben, was die Archäologie betrifft, keinen guten Ruf. Dass wir uns jetzt intensiver damit beschäftigen, hat auch mit einem Generationswechsel zu tun. Wir müssen das Vertrauen wieder herstellen.

Was tragen die Museen zur Lösung der Flüchtlingsproblematik bei?

Im Museum trifft sich die bürgerliche Mitte. Flüchtlinge dorthin zu holen, ist nicht einfach. Wir müssen auf sie zugehen und in Flüchtlingsunterkünften für gemeinsame Ausflüge werben. Hier sind wir für die Unterstützung von Kommunen, aber auch sehr vielen engagierten ehrenamtlichen Betreuern sehr dankbar. Das Museum kann im besten Fall ein Begegnungsort sein, wo die Flüchtlinge etwas über unsere Kultur erfahren. Wie wir miteinander leben wollen, das lernt man nicht bei der Betrachtung eines schönen Bildes. Aber das Bild bietet eine Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen über unsere europäischen Werte: Aufklärung, Demokratie, Toleranz. Darin könnte die Stärke der Museen gegenüber denen bestehen, die wir in unsere Gesellschaft integrieren wollen.

Das Gespräch führte Nicola Kuhn

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