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Kultur: Die Zwischenspieler

Deutsches Theater: Kommission votiert für Wilms – und für Oberender

Wieder eine Wende in der dramatischen Farce um das Deutsche Theater Berlin: Die von Kultursenator Thomas Flierl vor vier Wochen eingesetzte Findungskommission hat gestern ihr Votum abgegeben. Amtsinhaber Bernd Wilms soll Intendant bleiben – für zwei weitere Jahre. Ab 2008 soll dann ein Neuer die Geschicke des Hauses leiten. Dafür hat die Kommission eine irritierende Empfehlung ausgesprochen. Sie übergab Flierl eine Liste möglicher Nachfolger, mit denen der Senator nun in Verhandlungen treten könne. An erster Stelle steht dort der Name Thomas Oberender, derzeit Mitglied der Künstlerischen Leitung des Bochumer Schauspielhauses. Auf den Plätzen folgen dem Vernehmen nach Tom Stromberg, Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, und der Hannoveraner Theaterleiter Wilfried Schulz.

Und noch eine schnelle Wende: Thomas Oberender steht für diese Lösung nicht zur Verfügung. Flierls Favorit sieht in der Interimsvariante keinen Sinn. Ein Neubeginn könne nur sofort in Angriff genommen werden – nicht über die halblange Bank. Thomas Oberender und sein Wunsch-Partner, der Schweizer Kulturmanager Andreas Spillmann, hatten der Kommission am Wochenende ihr Konzept für das Deutsche Theater vorgelegt. Hortensia Völckers (Chefin der Bundeskulturstiftung), Wolfgang Engel (Intendant in Leipzig) und Ulrich Khuon (Intendant des Thalia Theaters Hamburg) zeigten sich beeindruckt. Und wollten sich doch nicht sofort für Oberender/Spillmann entscheiden: ein seltsames „Jein“.

Oberenders Rückzug ist unter diesen Bedingungen ebenso verständlich wie nobel. Man erkennt, dass es ihm ernst war mit dem Deutschen Theater. Jeder neue Intendant in der Schumannstraße, nicht nur Oberender, muss sich auf die volle Rückendeckung der Entscheidungsträger verlassen können; der Job ist zu schwierig, zu viel Porzellan ist schon zerschlagen. Oberender würde sich auch nicht von Flierl – an der unentschiedenen Kommissionsentscheidung vorbei – zum DT-Intendanten küren lassen. Thomas Oberender kann Berlin erhobenen Hauptes Richtung Bochum wieder verlassen und wohl, wie ursprünglich geplant, mit seinem Intendanten Matthias Hartmann ans Zürcher Schauspielhaus wechseln.

Auch für Bernd Wilms deuten die Zeichen auf einen moralischen Sieg. Er scheint jetzt bereit, seinen Kontrakt zu verlängern, und erwartet einen Anruf von Flierl. Man darf davon ausgehen, dass die Findungskommission ihr Votum nicht ohne Rücksprache mit Wilms gefunden hat. Lange hatte es so ausgesehen, als sei für Wilms der Fall Deutsches Theater erledigt. Vergangenen Sommer war ihm von Flierl bedeutet worden, dass eine Vertragsverlängerung nicht in Frage komme. Daraufhin hatte Wilms die Konsequenzen gezogen und erklärt, er stehe über das Jahr 2006 hinaus nicht zur Verfügung. Im Oktober hatte Flierl seinen Kandidaten Christoph Hein ins Rennen geschickt, und plötzlich – so wechselhaft ist das Theaterglück – stellten sich am Deutschen Theater Erfolge ein, begann Wilms’ Arbeit endlich Früchte zu tragen.

Wilms hat nun auch, zumal nach der überstürzten Aufgabe Christoph Heins, von verschiedenen Seiten Unterstützung erhalten. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit will ihn halten. Und schließlich haben in der vergangenen Woche auch Schauspieler und andere Angehörige des Deutschen Theaters in einem Brief an Senator Flierl gefordert, er möge auf Wilms zugehen.

Das ist das Problem. Kann Thomas Flierl nach alledem Bernd Wilms eine Vertragsverlängerung antragen? Droht dem Senator dabei nicht ein herber Gesichtsverlust? Ist Flierl in der Lage, über seinen Schatten zu springen?

Setzt man das Wohl des Deutschen Theaters als höchste Priorität, so muss man sagen: Warum soll Flierl nicht mit Wilms sprechen? Das Theater hat durch das Gezerre und Gezage schon einigen Schaden genommen. Das Berliner Intendantenraten (auch Christoph Schlingensief gab eine karnevalistische Bewerbung ab) unterhält seit Monaten die überregionalen Feuilletons – nach dem ewigen Gewurstel um die hauptstädtische Opernstiftung.

Flierl muss in jedem Fall einen Kompromiss eingehen. Wenn er dem Votum der Findungskommission nicht folgt und auf eigene Faust auf Intendantensuche geht – nachdem seine erste Wahl, Thomas Oberender, keine Wahl mehr ist – , düpiert er seine Berater schwer. In diesem Fall würde er zugeben müssen, dass er die falschen Leute in die Findungskommission berufen hat. Und dass er ihrer Empfehlung nur folgt, wenn sie ihm genehm ist. Das wäre schlechter Stil.

In den nächsten Tagen, so hieß es gestern aus der Kulturverwaltung, will Thomas Flierl seine Entscheidung über die Intendanz des Deutschen Theaters treffen, auf Basis der Kommissionsempfehlung. Wo ein Wille ist, ist auch ein Wilms. Und Pragmatismus ist keine Schande.

Rüdiger Schaper

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