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Kultur: Diese Woche auf Platz 21 Martin Kesici

„Angel Of Berlin“

HITPARADE

In Wim Wenders’ Film saßen sie noch auf der Siegessäule. Doch heute warten wir nicht mehr, bis sich am Himmel über Berlin neue Engel zeigen. Heute kommen die Engel aus der Casting-Show. Diese Form von Talentsuche hat das Prinzip der Selektion zur Abendunterhaltung erhoben. Doch bislang hat die schonungslose Auslese nur blasse Streber hervorgebracht, die den Pop-Standort Deutschland eher bemüht repräsentieren. Umso erfreulicher, dass bei „Star Search“ ein richtiger Berliner Atze gewonnen hat: Martin Kesici, der bislang in einer Reinickendorfer Heavy-Metal-Kapelle sang. Er ist tätowiert, gepierct, wurde früher mal beim Kiffen erwischt und ließ verlauten, auf „Popkacke“ habe er keinen Bock.

Genau die hat ihm die Stuttgarter Produktionsfirma Benztown, Heimstatt der Fantastischen Vier, aber verpasst. „Angel Of Berlin“ ist eine ziemlich gefällige Nummer, um nicht zu sagen: eine Schnulze. Daran kann man sehen, wie schnell aus einem Repräsentanten der vermeintlichen Subkultur ein familientauglicher Knuddelrocker wird. Verständlich. Popstar sein ist wahrscheinlich immer noch besser als arbeitslos.

Kesici wurde wegen seiner ungewöhnlichen Gesichtsbehaarung auch „der Kinnteufel“ genannt. Trotzdem: Barttragen, das bei Kesici vermutlich auch mal mit einem Ziegenbart begann, ist schon lange wieder mainstreamtauglich. Das durchschnittliche männliche Modeopfer sieht mittlerweile aus wie ein Gebrauchtwagenverkäufer Mitte der Siebzigerjahre. Wer Barttragen noch als wahre Subkultur erleben will, sollte sich beim Verband Deutscher Bartclubs umsehen. Die meisten dieser Vereine stellen Fotogalerien ihrer Mitglieder ins Internet. Sie tragen monströse Rasputine, gegen die Kesicis Kinnhörnchen harmlos wirken. 2005 findet übrigens die Bartweltmeisterschaft in Berlin statt. Wenn Kesici auch bei dieser Art Wettbewerb mithalten will, muss er noch kräftig wachsen lassen.

Ralph Geisenhanslüke

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