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Kultur: Dieses eigene Leben

Es gibt eine alte Vorstellung, die besagt, Fotos zeigten das Leben, wie es wirklich ist.Diese Idee von der Authentizität, die man der Fotografie als Bild inzwischen abgesprochen hat, kehrt nun auf einer anderen Ebene wieder: nämlich beim Motiv, dem Leben.

Es gibt eine alte Vorstellung, die besagt, Fotos zeigten das Leben, wie es wirklich ist.Diese Idee von der Authentizität, die man der Fotografie als Bild inzwischen abgesprochen hat, kehrt nun auf einer anderen Ebene wieder: nämlich beim Motiv, dem Leben.Es muß hart, brutal und dreckig sein, um diesen Ruch des Echten zu rechtfertigen.Begonnen hatte alles mit Nan Goldin.In ihrer "Ballade von der sexuellen Hörigkeit" wurde nicht dokumentiert, sondern registriert - und zwar das eigene Leben.Bezeichnenderweise wird Goldin nicht als Fotografin gehandelt, sondern als Künstlerin.Noch einmal zeigt sich damit die Kunst der Fotografie überlegen, weil mit dem Kunstwerk immer noch so getan werden kann, als könne man es auf die Wahrheit verpflichten.

Goldin wurde jedenfalls berühmt, ihre Fotos immer teuerer.Im Gefolge rückte auch ihr Umfeld, die "Boston School", in den Blick.Beispielsweise David Armstrong, mit dem sie seit 1969 befreundet ist.1977 zog Armstrong nach New York, ein Jahr später kam Nan hinterher.Es wundert also nicht, wenn Nan und David die gleichen Leute fotografiert haben.Und doch sind Davids Fotos ganz anders.Armstrong ist bekennender Romantiker, ihm geht es in seinen Portraits um Seele, den Blick ins Innere des Gegenübers und er macht - anders als Goldin - keine Schnappschüsse: Die Aufnahmen von seinen Männerfreundschaften sind auf den ersten Blick als Schwulenportraits zu entschlüsseln: Schmachtender, direkt in die Kamera gerichteter Blick, aber vor allem jene Nähe zum Modell, die aus dem gemeinsam geteilten Leben herrührt.Die Galerie M.+ R.Fricke zeigt jetzt eine kleine Auswahl von Armstrongs Fotos (Preise um 2500 Dollar).

Es ist wohl nicht Zufall, sondern Bestätigung des Trends, wenn gleichzeitig noch zwei andere Fotoausstellungen den durch Goldin popularisierten Zugriff auf das Leben zum Thema haben.Der eine Generation ältere Peter Hujar, dessen Fotos die Galerie Berinson präsentiert und im übrigen beim gleichen Verlag wie die von Armstrong und Goldin veröffentlicht werden, kommt der Nan Goldin-Schule sehr nahe.Auch Hujar bewegte sich in der New Yorker Szene, die von Schwulen, Transvestiten, Bohemiens und einigen Stars bevölkert wird: Andy Warhol, Susan Sontag, John Waters, Paul Thek, etc..Hujar, den Nan Goldin als "menschlichen Tranquilizer" beschreibt, war ein eher zurückhaltender Typ, bei dem nicht ganz sicher ist, ob er dem Erfolg nicht freiwillig aus dem Wege ging.Hujar, in den frühen achtziger Jahren an den Folgen von AIDS gestorben, stilisiert seine Portraits, sie haben weniger den Geruch der Szene, sein an der Modefotografie geschulter Zugriff ist konzentrierter.Einzig der Blick der Menschen in seinen Bildern sorgt für das Leben.Es ist der Blick von Menschen, die eine Geschichte haben, die ihnen das Leben auf den Leib geschrieben hat.Am eindrücklichsten ist das bei "Candy Darling on her Deathbed": Der dem Tode nahe Transvestit spielt die glamouröse Rolle seines Lebens noch im Krankenhaus (Preise zwischen 7300 und 18 000 Mark).

Bruce Davidson mit seiner Fotoreportage über die "East 100th Street" in Spanish Harlem könnte man als den Ahnherrn des gegenwärtigen Trends betrachten.Die Galerie Bodo Niemann offeriert eine Auswahl zu Preisen um die 2700 Mark.Davidson, eigentlich Magnum-Fotograf, hatte - ermöglicht durch ein Stipendium - von 1966 bis 1968 in dem New Yorker Slumviertel rund 2000 Portraits aufgenommen.Fast jeden Tag stand er mit seiner Plattenkamera auf der Straße und erwarb sich bald das Vertrauen der (meist schwarzen) Bevölkerung.Schließlich gelangen ihm Aufnahmen, die in ihrer intimen Nähe aussehen, als ob sie Nan Goldin vorwegnähmen.Für das Siegel der Authentizität sorgt auch hier die Mischung von Armut, Dreck und Intimität: Nackte Frauen präsentieren sich zuhause auf dem Bett, Kinder auf den Feuerleitern der Mietskasernen, Liebespaare turteln vor der Kamera und die verarmten Alten zeigen sich im Unrat ihres Zuhauses.Was ursprünglich als Blick auf die Rückseite des American dreams gedacht war, verblüfft heute vor allem durch die Unmittelbarkeit der Szenen: Die Bilder sehen aus, als ob der Fotograf mitten im Leben dieser Leute gestanden hätte.Natürlich war er nur Gast, aber die Herangehensweise, sich auf das Leben einzulassen, sollte Schule machen.

Galerie M.+ R.Fricke, Linienstraße 109, bis 18.Juni; Dienstag bis Freitag 14 - 19 Uhr, Sonnabend 12 - 16 Uhr.Galerie Berinson, Auguststraße 22, bis Ende Juli; Di - Sa 15 - 19 Uhr.Galerie Bodo Niemann, Hackesche Höfe, bis 6.Juni; Di - Sa 12 - 18 Uhr.

RONALD BERG

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