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Einladung zum Bilderstrudel. Still aus einem Clip mit den besten Memes, gesammelt von H-Matter.

© H-Matter/YouTube

Digitale Bildkulturen: Der Sinn des Unsinns

Die Wagenbach-Reihe über digitale Bildkulturen widmet sich den Memen und den GIFs.

Wer bei YouTube nach „Dank Memes“ sucht, begibt sich in einen Bilderstrudel. Selbstproduzierte Videocollagen zeigen Amateuraufnahmen und das, was man mal Fail-Video genannt hat neben Tiktok-Videos, Tierstunts und raubkopierten Cartoon-Sequenzen in tendenziell verpixelten Bildern mit völlig übersteuertem Ton.

Es ist ein merkwürdiger Nebenschauplatz im großen Bedeutungsknäuel, frequentiert von kundigen Teenagern. Ein Karneval des Grauens, aber auch der kreativen Zusammenkunft. Es sind Videos, die für die zeitgenössische Mash-Up Kultur stehen – ein aus dem Ruder gelaufenes Zeit-Totschlags-Programm.

Das „Dank“ in „Dank Meme“ ist als Marker von Surrealität gemeint. Das Wort „Dank“, in den späten Nullerjahren von der Kiffer- in die Jugendkultur abgewandert, wird heute nicht mehr oft benutzt. Ein Wanderer zwischen den Welten ist auch der Begriff „Meme“.

Er stammt aus der Evolutionsbiologie und verweist auf Gemeinsamkeiten biologischer (genetischer) und kultureller (memetischer) Entwicklung. Wie Gene sind Memes codiert, dechiffrierbar und unterliegen Kopierfehlern.

Ein Gewimmel von falsch Kopiertem

Im Internet wimmelt es von falsch Kopiertem und Mutiertem. Weswegen es kein Wunder ist, dass Memes heute soviel bedeuten wie „lustiges Bild im Internet“. Ob diese tatsächlich eigendynamisch mutieren oder durch gezielte Eingriffe surfender Individuen erzeugt werden ist wohl eine Frage der Perspektive.

Regelrecht ignoriert wurden die lustigen Wanderbilder bisher von der analogen Öffentlichkeit. Die von Wolfgang Ullrich und Annekathrin Kohout im Wagenbach Verlag herausgegebenen Buchreihe „Digitale Bildkulturen" will das ändern.

Acht Titel sind in den vergangenen zwölf Monaten erschienen und widmen sich der überlegenen Stellung des Bildlichen im Web 2.0. Bücher wie „Selfies“, „Screenshots“, „Modebilder“ oder „Hassbilder“ bieten kompakte Einführungen in Schlüsselaspekte und Schmuddelecken „digitaler Volkskultur“, zum Glück unter Verzicht auf allzu extravagante Zeitdiagnosen.

[Tilman Baumgärtel: GIFs. Evergreen aus Versehen. 80 Seiten, 10 €. Dirk von Gehlen: Meme. Muster digitaler Kommunikation. 80 Seiten, 10 €. Beide erschienen im Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020.]

Der Klappentext fasst das Unternehmen so zusammen: „Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso grundsätzlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache.“ Jeder Band liefert um die 80 Seiten Beobachtungen, Analysen und Beispielbilder.

Alltägliche Formen der Zerstreuung

Gemeinsam erzählen sie von alltäglichen Formen der Zerstreuung. Dabei unterscheiden sich die Zugänge zum Phänomen bisweilen stark. Das zeigen zwei neue Bände, Dirk von Gehlens „Meme“ und „GIFs“ von Tilman Baumgärtel.

Baumgärtel erzählt die unwahrscheinliche Geschichte eines veralteten Dateityps, nämlich der GIF-Datei, die sich im Netz bis heute größter Popularität erfreut. Anfangs als Methode entwickelt, um Speicherplatz zu sparen, hat sich daraus ein echtes Genre entwickelt. Gemeint kurze, verpixelte Clips in Endlosschleife, die eine eigentümliche Sogwirkung entfalten.

In der frühen Fotografie und dem Kino von Quentin Tarantino und David Lynch entdeckt er so etwas wie Vorfahren oder Familienähnlichkeiten. Er zeigt, dass das Phänomen GIF nicht einfach vom Himmel fiel, denn im Archiv findet sich immer noch ein weiterer Vorläufer. Überhaupt das Archiv: In seinem Aufsatz widerlegt Baumgärtel die verbreitete Meinung, das Internet vergesse nicht.

In der Tat sind viele GIFs der ersten Stunde mittlerweile unauffindbar, die dazugehörigen Webseiten schlicht verschwunden. Das drängt die Frage auf: Welche Aspekte der Gegenwart bleiben auf Dauer erhalten? Das allein rechtfertigt publizistische Projekte wie die „Digitalen Bildkulturen“.

Während sich der Beitrag des Medienwissenschaftlers Tilman Baumgärtel analytisch gibt (beleuchtet werden nacheinander technische Rückständigkeit, Grobkörnigkeit, Verhältnis zur Postmoderne usw.), scheut der Journalist und Social Media-Experte Dirk von Gehlen keine steile These.

Witze erklären und zerstören?

Im Meme fänden wir die „vielleicht vitalste und demokratischste Form der Kultur, die wir derzeit erleben“, schreibt er. Nur eines gelte es, um jeden Preis zu vermeiden: die „Falle derjenigen, die Witze erklären wollen – und damit nicht selten zerstören“.

Wirkung und Witz, so von Gehlen, basierten auf der pausenlosen Unterwanderung des eigenen Erwartungshorizonts. Auf Sinn folgt augenblicklich Unsinn. Dabei lässt sich ein Meme – von Gehlen zufolge „jede digitale Ausdrucksform, die kopier- und referenzierbar ist“ – paradoxerweise nicht auf eine abgrenzbare Einheit reduzieren. Voraussetzung sei eine Form von memetischer Literarizität. Solch ein „digitaler Dialekt“ bringe ständig neue Identitäten hervor.

Lassen sich solche „verschwörerischen Gemeinschaften“ überhaupt mit dem Ziel vereinbaren, das Meme als etwas Demokratisches hinzustellen? Klar ist: Der digitale Dialekt kommt bei den liberalen Eliten nicht immer gut an, und so ist es nachvollziehbar, dass von Gehlen ihn in ein besseres Licht rücken möchte.

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Trotzdem sollte man seinen Beschwörungen einer „grenzüberschreitenden Infrastruktur des Internet“ und deren liberaler und westlicher Botschaft nicht vorschnell folgen. Zu sehr klingen sie nach den irrigen Behauptungen vieler Social-Media-Beauftragter, die die bloße Möglichkeit freier Meinungsäußerung als hinreichend demokratisch betrachten.

Sicher sind Memes in der Lage, Menschen, Dinge und sogar Zustände zum Ausdruck zu bringen, die sonst unsichtbar bleiben. Eine „öffentliche Infrastruktur für selbstermächtigte, ausdrucksstarke Bürger“, wie der Silicon-Valley Historiker Fred Turner mit Blick auf Facebook bemerkt hat, mag daher vital wirken, sie ersetzt aber keineswegs die Demokratie und ihre Institutionen.

Frederic Jage-Bowler

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