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Dirigenten: Ja, wo laufen sie denn?

Metzmacher, Zagrosek & Co. wollen weg aus Berlin - sagen sie zumindest. Ist die Musikstadt in Gefahr?

Wer sich die jüngsten Nachrichten aus der Berliner Orchesterlandschaft zu Gemüte führt, könnte im alten Haydn und dessen „Abschiedssymphonie“ ein triftiges Gleichnis sehen. Bekanntlich verlässt hier während des Schluss-Adagios ein Musiker nach dem anderen das Podium, bis am Ende nur mehr zwei Geigen leise pling, pling machen. Weniger Musik, heißt das, geht nicht. Noch weniger Musik bedeutete nämlich: gar keine Musik. So einfach ist das.

Wer aber stünde in diesem Gleichnis für wen? Ist der Regierende Kultursenator Klaus Wowereit der Komponist, der den Titel „Abschiedssymphonie“ partout nicht selbst erfunden haben will? Ist André Schmitz, sein Kulturstaatssekretär, der Dirigent, unter dessen Stabführung die Musiker die Flucht ergreifen? Bleibt die Chefin der Senatskanzlei, Barbara Kisseler, als bewährte Konzertmeisterin wie immer als letzte übrig, kühn entschlossen, jede Stellung zu halten? Und wären die säumigen Instrumentalisten mit den Herren Metzmacher, Zagrosek & Co. nicht geradezu à point besetzt?

Gleichnisse sind schön, möchte man mit Karl Valentin rufen, helfen aber nicht weiter. Fakt ist, dass Berlin von einem merkwürdigen Dirigentenschwund befallen scheint. Ingo Metzmacher, Chef des Deutschen Symphonie-Orchesters, verzockt sich bei seinen Vertragsverlängerungsverhandlungen und will oder muss 2010 gehen. Zeitgleich droht auch Lothar Zagrosek, Chef des Konzerthausorchesters, mit Abgang (ab 2011). Die Gründe sind nahezu austauschbar: Dräuende Tarifsteigerungen, mangelhafte Stellenpläne, Repertoire- und Personalfragen. Zu mäkeln gibt es sicher immer etwas. Zu wollen auch.

Dirigenten, die im Sinne der Kunst und des eigenen Renommees – vorsichtig formuliert – Forderungen stellen und diese mit dem eigenen Schicksal verknüpfen, hat Berlin viele gesehen. Mit unterschiedlichen Erfolgen. Als Christian Thielemann 2004 einen „Solidarbeitrag“ für die Deutsche Oper verlangt und die Gleichstellung seines Orchesters mit der (von Bundesmitteln verwöhnten) Staatskapelle, schert sich kaum jemand drum. Thielemann schäumt, schmollt, protestiert – und kehrt Berlin schließlich den Rücken. Seit fünf Jahren fischt die Deutsche Oper Berlin musikalisch nun schon im Trüben. Thielemanns Weggang ist der Dammbruch, nicht nur für die Bismarckstraße.

Aber es gibt auch positive Nachrichten. Hing nicht Daniel Barenboims Vertragsverlängerung über 2002 hinaus einst an seidenen Fädchen? Und ist er nicht immer noch da (freilich „nur“ als Generalmusikdirektor der Lindenoper, nicht mehr als deren Intendant)? Und haben die Berliner Philharmoniker nicht unlängst darüber abgestimmt, dass sie Simon Rattle als Chef behalten wollen? Rattle selbst hat sich dazu noch nicht geäußert – ein sicheres Indiz dafür, dass er über die Ausstattung seiner zweiten Amtszeit nachdenkt. Darf’s vielleicht ein neuer Intendant sein (Pamela Rosenberg geht 2010 in Rente), eine weitere Absicherung des Stiftungsmodells, ein Rattle-„Ring“ gar an der Deutschen Oper (natürlich ohne die Philharmoniker)? Künstlerisches Ansehen definiert sich seit jeher über Gagen und Privilegien, das war schon bei Haydn so, am Hofe des Fürsten Esterházy. Und das ist auch in Berlin im 21. Jahrhundert nicht anders, wo nach wie vor mindestens fünf veritable Sinfonieorchester (mit den Klangkörpern der Deutschen und der Komischen Oper sind es sogar sieben) um Profile, Publikumsgunst und goldene Töpfe buhlen.

So weit, so reflexartig. Wirklich interessant werden die Fälle Metzmacher und Zagrosek erst im Zurückrudern. Forderungen gestellt, den Max markiert, Rüffel kassiert – und jetzt soll alles gar nicht so gemeint gewesen sein? Sowohl Ingo Metzmacher als auch Lothar Zagrosek signalisieren, wie es heißt, „Gesprächsbereitschaft“. Hinter den Kulissen wird also eifrig daran gewerkelt, wie man nun doch wieder und ohne Gesichtsverluste zueinander kommt. Alles andere wäre seitens der Künstler auch unintelligent. Beide Maestri dürften von auswärtigen Angeboten kaum ernsthaft überrannt werden, und beide Orchester wissen nur zu gut, wie schwer es ist, auf dem Markt in der gebotenen Preisklasse und Schnelligkeit fündig zu werden. Der Musikstandort Berlin war eben schon einmal attraktiver. Und das ist – trotz 20 Millionen Euro mehr für die Opernstiftung seit 2008, trotz demnächst sechs Millionen mehr für die Rundfunkorchester und -chöre GmbH (ROC) – des Pudels eigentlicher böser Kern.

Die Tatsache, dass keine Berliner Regierung es seit 1989 gewagt hat, ein Opernhaus oder Orchester zu schließen (mit Ausnahme der Symphoniker), um den verbleibenden Institutionen stabilere Arbeitsbedingungen zu sichern, sie führt entgegen aller Lippenbekenntnisse zu einem markanten Niveauverfall. Konkurrenz belebt nur dann das Geschäft, wenn auch konkurriert werden kann. Unterm Gießkannenstrahl aber verkümmern auf Dauer alle. Was man an Metzmacher und Zagrosek darüber hinaus sehen kann: Knackige Spielzeit-Motti und unkonventionelle Konzertprogramme allein sind kein Ersatz für musikalische Substanz ( dass beide Dirigenten ihre Karriere über die Oper gemacht haben, wo das besser funktioniert, ist wohl kein Zufall).

Mit der Opernstiftung und der ROC sind in Berlin Instrumente geschaffen worden, die in erster Linie das schlechte politische Gewissen beruhigen helfen. Wo keine Entscheidungen gefällt werden müssen, hat sich auch niemand zu verantworten. Wo niemand sich die Mühe macht, kluge Köpfe um grüne Tische zu scharen, um vielleicht ganz unorthodoxe Visionen der hauptstädtischen Musiklandschaft bis, sagen wir, 2020 zu entwickeln, da wird weiter gewurstelt.

Eine der Konsequenzen aus dieser (Nicht-)Strategie: Berlin scheint überhaupt nur mehr Dirigenten (und Intendanten!) der Klassen 1b bis 1d anzuziehen. Auf Thielemann an der Deutschen Oper folgte mit Renato Palumbo ein weitgehend unfähiger Italiener, der nach diversen Flops vorzeitig gehen musste und im Herbst nun durch Donald Runnicles ersetzt wird, der seinerseits eine nicht eben ausufernde Karriere hinter sich hat. Und Kirill Petrenkos Amt an der Komischen Oper wird seit dieser Spielzeit von dem Texaner Carl St. Clair verwaltet, der so immens engagiert, klug und freundlich ist, dass man ihm seine bisher an den Tag gelegte musikalische Mittelmäßigkeit am liebsten nachsehen möchte.

Die jungen Wilden jedenfalls kommen vorläufig nicht nach Berlin, gehen lieber nach Los Angeles (Gustavo Dudamel) oder Birmingham (Andris Nelsons) oder wühlen sich weiter durch die Provinz (Cornelius Meister). Und die Stars halten sich ebenfalls fern – sollte es überhaupt noch möglich sein, von Berlin aus hochrangige Persönlichkeiten wie Esa- Pekka Salonen, Riccardo Chailly oder Valery Gergiev zu kontaktieren, ohne dass einem sofort die Schamesröte ins Gesicht steigt. Das sind auch Folgen einer Politik, die sich nichts traut und einem bestenfalls pflichtschuldigen Kulturbegriff huldigt, der – apropos Sozialneid – keinem Polizeihund etwas zuleide tun will.

Ein Teufelskreis also: Das schwindsüchtige Renommee als Musikstadt erzeugt weniger klangvolle Namen erzeugt weniger politischen Druck erzeugt weniger Geld erzeugt immer noch bescheidenere Pultgrößen erzeugt ein noch weiteres Absinken des Renommees und so fort. Das Ende der Fahnenstange? Ist, tröstlich genug, noch nicht ganz in Sicht. Kann aber schneller kommen, als man denkt. Die Deutsche Oper sei „unterfinanziert“, hat Donald Runnicles unlängst in einem Interview bemerkt, dieser Zustand müsse korrigiert werden. Und wenn nicht? Dann wird Runnicles an der Bismarckstraße trotzdem seinen Taktstock schwingen. Zähneknirschend. Willkommen im Club.

Christine Lemke-Matwey

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