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Joa Herrenknecht in ihrem Atelier in Friedrichshain.

© Thilo Rückeis

DMY International Design Festival: „Die Krise ist super für Berlin“

Zum Start des DMY International Design Festivals haben wir die 32-jährige Deutsch-Kolumbianerin Joa Herrenknecht getroffen, die beim Festival ihre Entwürfe präsentieren und über den "Berliner Designansatz" diskutieren wird

Der Tipp kam von Mattia Risaliti. Er arbeitet zurzeit im Studio von Designerin Joa Herrenknecht und sagt: „Schau dir ihre Entwürfe an, und du weißt, wie sie ist.“ Nachdrücklich nickt er und deutet in die Ecke, wo filigrane Leuchten aus Papier-Dreiecken hängen. Auf dem Boden liegt ein Wollteppich, ebenfalls aus geometrischen Grundelementen zusammengefügt, darauf steht ein Tischchen, dessen drei Beine ohne Schrauben ineinander gesetzt werden. Pastellgrün, Lindgrün, Orange und Gelb kontrastieren mit Weiß und Holz. „Das Geometrische“, sagt Risaliti, „kommt vom Vater.“ Der ist Deutscher. „Das Leichte und die Farben von der Mutter.“ Die ist Kolumbianerin. Ob Joa Herrenknecht mit der These einverstanden wäre? Sie hat sie nicht gehört.

Die Designerin verteilt Zitronenkuchen mit Baiserhaube, schenkt Tee ein, dreht die Musik ein bisschen lauter, fragt ob man das neue Lied von Daft Punk schon kenne, schwärmt von Berlin, wo sie erst seit einem Jahr lebt. Dann strahlt sie und drückt einem eine Visitenkarte in die Hand, die mit einem kleinen Text versehen ist. Er beginnt mit „Hello, hello“ und endet mit „Take Care“. Ja. Irgendwie passt das alles zu ihren Lampen, zu ihrem Tisch, zu ihrem Teppich.

Und dann steht am Eingang ihres Studios in Friedrichshain auch noch dieser mehr als mannshohe abstrahierte Baumstamm mit der weißen Oberfläche aus Glasfaser und einem kleinen Auffangbecken. Joa Herrenknecht hat ihn Peetree, Pinkelbaum, genannt. Es ist der Prototyp für ein Urinal. „Das funktioniert wirklich, ich habe das ausprobieren lassen“, sagt sie. Entstanden ist der Pinkelbaum während ihres Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe bei James Irvine, einem der bedeutendsten europäischen Produktgestalter. Die Aufgabe war, für einen Sanitär-Hersteller neue Ideen zu entwickeln. Von einem Klopapierhersteller ist Joa Herrenknechts Entwurf zur zweitbesten „Toilette der Zukunft“ gekürt worden.

Sie nimmt den Preis mit Humor. Den hat sie nämlich auch – zusätzlich zur deutschen Genauigkeit und der südamerikanische Lebenslust. Außerdem hat die 32-jährige Nachwuchsdesignerin bereits Auszeichnungen vorzuweisen, auf die sie wirklich stolz sein kann. Ihre Lampe „Nest“ ist mit dem Red Dot Design- Award geehrt und für den German Design Award nominiert worden.

Seit einem Jahr betreibt sie ihr Studio, zuvor hatte sie in Sydney ein Aufbaustudium in Grafikdesign absolviert und bei Stardesignerin Patricia Urquiola in Mailand assistiert. Auf dem Internationalen Design Festival, das am Mittwoch im ehemaligen Flughafen Tempelhof beginnt, wird Joa Herrenknecht Arbeiten in der Sektion „Refugium“ zeigen, einer kuratierten Ausstellung, in der etablierte und junge Designer einen kleinen Überblick über die Berliner Szene geben. Geplant ist auch eine Gesprächsreihe, in der über den „Berliner Designansatz“ debattiert werden soll. So heißt es in den Ankündigungen.

Was ist das denn, der Berliner Designansatz? Joa Herrenknecht weiß mit dem Begriff auch nicht so viel anzufangen. Zurzeit hat sie Spaß daran, Dinge zu entwickeln, die möglichst reduziert sind, etwa wie die „Nest“-Lampe, bei der Fuß und Schirm eins sind. Oder die „Kogi“- Lampe, bei der sie sich von einem Webmuster des gleichnamigen kolumbianischen Stammes inspirieren ließ. Mit einem einzigen Bogen Papier wollte sie dabei so viel Volumen wie möglich schaffen. Kann aber auch sein, dass sie demnächst einen Schal strickt oder ein Café einrichtet. „In Berlin ist das doch eher so, dass die vielen Leute, die mit ihren Ideen hierher kommen, der Stadt etwas geben, und nicht umgekehrt die Stadt etwas den Gestaltern.“ Also Vielfalt statt einheitlicher Berliner Schule.

Wenn man so will, dann ist das Studio der Deutsch-Kolumbianerin das Abbild der Stadt auf wenigen Quadratmetern. Joa Herrenknecht ist in dem baden-württembergischen Städtchen Schwanau an der französischen Grenze aufgewachsen. Praktikant Mattia Risaliti stammt aus Italien, ein weiterer kommt aus Belgien. Demnächst fängt eine Innenarchitektin aus Slowenien an.

„Für Berlin ist die Krise in Europa ja super“, sagt Joa Herrenknecht. „Lauter tolle, ambitionierte Menschen kommen hierher.“ Und das nötige handwerkliche Know-how findet sie hier auch. Ihre Prototypen lässt sie in der Region herstellen. Zum Beispiel hat eine Potsdamer Firma den Betonfuß für ihren Pflanzentrog „Toro“ gegossen. Er ist die raue Basis für einen rund gebogenen Stahlkäfig. Daran können dann Efeu und anderes Grün hochranken.

Trotz aller Annehmlichkeiten – allzu bequem will es sich die Designerin in der Stadt nicht machen. Erst kürzlich hat sie sich auf der berühmten Mailänder Möbelmesse präsentiert. „Gerade wenn man jung und noch unbekannt ist, muss man sich auch raus aus Berlin bewegen, schauen, was in London oder New York passiert.“ Zumal die deutsche Hauptstadt (noch) nicht die Hauptstadt deutschen Designs ist, auch wenn ein Werner Aisslinger, dessen Entwürfe im New Yorker MoMA zu sehen sind, hier ein Studio betreibt. Neben dem in Singapur.

Aisslinger war nicht nur Joa Herrenknechts Lehrer in Karlsruhe, er hat auch das Festival DMY mitbegründet. In diesem Jahr findet bereits zum zweiten Mal parallel dazu die Lange Nacht der Designstudios statt. Joa Herrenknecht macht mit und lädt in ihr Atelier ein, mit Barbecue auf der Dachterrasse und Entwürfen befreundeter Gestalter. Was sie sich von der Veranstaltung verspricht? „Ich wünsche mir, dass die Leute mir sagen, wie sie meine Sachen finden.“ Joa Herrenknecht glaubt, dass die Dinge, die einen umgeben, Einfluss auf das eigene Leben haben. Deswegen will sie, dass man sich mit ihren Entwürfen wohlfühlt. Könnte klappen.

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