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Das wegen antisemitisch gezeichneter Figuren zunächst verhüllte Großbanner „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz wurde drei Tage nach der Eröffnung abgebaut.   

© dpa / Uwe Zucchi

Alles nur Israelkritik? : Der Antisemitismus-Skandal auf der Documenta war absehbar

Wer wählte die für das antisemitische Kunstwerk verantwortlichen Kuratoren aus? Ein genauer Blick auf die Findungskommission enthüllt krude Positionen zu Israel.

Von Caroline Fetscher

Wer Umschau hält nach dem Ursprung des Skandals um die Documenta fifteen, sollte auch einen Blick auf die Findungskommission werfen. Acht Mitglieder hat das Gremium, das die künstlerische Leitung der Documenta auswählte und sich für das indonesische Kuratorenkollektiv Ruangrupa entschied:

der indische Künstler und Filmemacher Amar Kanwar, die Museumsdirektoren Charles Esche und Frances Morris, die Kuratorinnen Ute Meta Bauer, Elvira Dyangani Ose und Gabi Ngcobo, der frühere Städel-Direktor Philippe Pirotte sowie Jochen Volz, Pinakotheks-Chef in Sao Paulo.

Sie alle sind auch Mitglieder des Beirats der Weltkunstausstellung. Die Homepage der Documenta erläutert: „Als documenta Kommission benennt der Beirat nicht lediglich die jeweilige Künstlerische Leitung (wie im Februar 2019 mit Ruangrupa geschehen), sondern begleitet darüber hinaus auch den weiteren Projektprozess.“

Mehrere von ihnen haben bereits vor ihrer Documenta-Tätigkeit deutliche Israel-Kritik oder Nähe zur Israel-Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) bekundet. Belege dafür finden sich mühelos im Internet.

Amar Kanwar unterschrieb 2013 einen Protestaufruf gegen die wissenschaftliche Kooperation des indischen Bundesstaates Gujarat mit Israel, wie auf einer BDS-Website verzeichnet. Der Protest war Teil der „Indian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel“, getragen von Akademikern, Aktivistinnen und Künstlerinnen.

Das Kompositum ,Israelkritik’ macht insofern hellhörig, als solch ein Begriff zu keinem anderen Staat existiert oder ähnlich häufig formuliert wird.

Caroline Fetscher

Charles Esche, Direktor des Van-Abbe-Museums im niederländischen Eindhoven, zählt wiederum zu den Unterzeichnern des Aufrufs „Wir können nur ändern, was wir konfrontieren“, der seinerseits die Initiative „GG 5.3 Weltoffenheit“ unterstützt.

Deren Statement, unterschrieben von zahlreichen Leitern staatlich finanzierter Kultureinrichtungen (darunter das Humboldt Forum, das Haus der Kulturen der Welt und die Bundeskulturstiftung) reagierte im Dezember 2020 auf die BDS-Resolution des Bundestags, die eine öffentliche Finanzierung für Projekte mit BDS-Beteiligung ausschließt, da anderenfalls von der Gefahr antisemitischer Tendenzen ausgegangen werden müsse.

Unterzeichner befürchten Einschränkung der Kunstfreiheit

Die „Weltoffenheit“-Unterzeichner erklären zwar, dass sie den Boykott Israels durch BDS ablehnen, jedoch eine „Logik des Boykotts“ befürchten, den auch die Resolution vom Mai 2019 ausgelöst habe. Sie warnen vor einer Einschränkung der grundgesetzlich geschützten Kunst- und Wissenschaftsfreiheit durch „missbräuchliche Verwendungen des Antisemitismusvorwurfs“. Genau der Vorwurf steht nun im Raum, dem der Documenta.

Die südafrikanische Kuratorin Gabi Ngcobo nahm 2012 am Workshop „Gefesselte Kunst – Künstlerischer Aufbruch in Südafrika und Palästina“ teil. Dieser befasste sich mit „sozialer Transformation in Verhältnissen der Unterdrückung“, wobei Apartheid in Südafrika mit den Verhältnissen in Israel gleichgesetzt wurde. In einem Bericht dazu heißt es, Ngcobo habe „es als Schock empfunden, dass junge Menschen Angst hatten, das Wort Apartheid auch nur auszusprechen“.

Das Werk „Cave“ der Künstlerin Hito Steyerl im Ottoneum ist inzwischen nicht mehr zu sehen: Steyerl zog ihre Arbeiten als Folge des Antisemitismus-Eklats von der Documenta ab.
Das Werk „Cave“ der Künstlerin Hito Steyerl im Ottoneum ist inzwischen nicht mehr zu sehen: Steyerl zog ihre Arbeiten als Folge des Antisemitismus-Eklats von der Documenta ab.

© dpa / Uwe Zucchi

Ihre New Yorker Kollegin Elvira Dyangani Ose verantwortete 2016 die Göteborger Biennale für Zeitgenössische Kunst. Dort war unter anderem Kader Attias Installation mit dem Titel „Los de Arriba y Los de Abajo“ (Die von oben und die von unten“) zu sehen. Der französisch-algerische Künstler zeigte die Replik einer Gasse in Hebron im Westjordanland, in der sich Palästinenser mit Gittern vor dem Müll schützen, den oberhalb lebende jüdische Siedler nach seiner Kenntnis von dort auf die Straße werfen. Eine Arbeit, die seiner Ansicht nach vertikale Segregation der israelischen Gesellschaft thematisiert.

„Israelkritik“, auf die sich die BDS-Bewegung beruft, gilt ja meist als legitim. Hier gilt es zu differenzieren. Das Kompositum macht insofern hellhörig, als solch ein Begriff zu keinem anderen Staat existiert, jedenfalls zu keinem anderen Land so häufig formuliert wird wie zu Israel.

Spezifische Kritik an der israelischen Regierung oder Mitgliedern des Kabinetts, an Parteiprogrammen, der Siedlerpolitik (wie in Attias Installation), der Lage der israelischen Araber, der Menschen in den palästinensischen Gebieten, ist zweifellos. „Israelkritik“ hingegen impliziert die pauschale Kritik am „Judenstaat“ und seiner Existenz, sie ist oft antisemitisch getönt und motiviert, insbesondere durch die beharrliche Fixierung auf diesen einen Staat.

Das Publikum ist trotzdem da: Kunstbesucher auf dem Friedrichsplatz in Kassel.
Das Publikum ist trotzdem da: Kunstbesucher auf dem Friedrichsplatz in Kassel.

© dpa / Uwe Zucchi

Wie sieht es bei den weiteren Mitgliedern der Findungskommission aus? Ute Meta Bauer, Gründungsdirektorin des NTU Centre for Contemporary Art (CCA) in Singapur, war am Panel „Platform 6“ mit den Kuratoren von Ruangrupa beteiligt. Transkripte der Diskussionen finden sich auf der Documenta-Website.

Am 27. September 2021 traf Bauer sich in diesem Rahmen zum Thema „The Past in the Present“ mit den bereits ernannten indonesischen Kuratoren. Hier klagte das Ruangrupa-Mitglied Farid Rakun über Diskriminierungen der Halter von indonesischen Pässen, die bestimmte Regionen, nicht bereisen dürften, „darunter Palästina“. Es war sein einziges Beispiel.

Er zielte damit offenbar auf Israel: Indonesien und Israel unterhalten keine diplomatischen Beziehungen. 2012 wollte Indonesien eine Botschaft in Ramallah eröffnen, akkreditiert von der PLO. Das lehnte Israel ab. Israelis können Indonesien nur mit gesonderten Touristen-Visa bereisen, Indonesier Israel ebenso. Auch Ute Meta Bauer wies in dem Gespräch nicht auf diesen komplexen Zusammenhang hin.

Wie der BDS und „Israelkritik“ in der Kunstszene Akzeptanz finden

Farid Rakun hatte hinzugefügt, das von Ruangrupa eingeladene palästinensische Kunstkollektiv „Question of Funding“ werde einen Künstler aus Ramallah einladen und ihm volle „Inklusion“ bieten. Ute Meta Bauer erklärte: „Wir sprechen immer wieder von Zensur, doch infrastrukturelle Freiheit ist sogar in westlichen Staaten, auch in vollständigen Demokratien, sehr begrenzt“. Darüber werde jedoch „nicht oft gesprochen“, fügte sie anspielungsreich hinzu.

Beteiligt an dem Gespräch war auch Mark Nash, einer der Ko-Kuratoren der Documenta 11. Nash wollte wissen, ob Ruangrupa nach der Documenta fifteen den Kontakt zu politischen Akteuren suchen würde, etwa um „Gebiete zu befreien“ („let’s say for the liberation of territory“). Nash fiel dazu ein „poetischer Film“ über kommunistische Rebellen im Dschungel von Mindanao ein. Sie kamen zwar alle ums Leben, doch der Regisseur habe erklärt, auch das könne „als künstlerisches Projekt“ betrachtet werden, „wenngleich ein sehr riskantes“. Und Nash räumte ein: „It’s an extreme example“.

Die übrigen drei Mitglieder der Findungskommission haben sich zu den Themen Israel, Palästinenser und Antisemitismus bislang nicht hervorgetan, weder der Belgier Philippe Pirotte, bis 2020 Rektor der Frankfurter Städelschule und nun Leiter der Ausstellungshalle Neuer Portikus in Frankfurt, noch Jochen Volz aus Sao Paulo. Als Kurator für die dortige Kunstbiennale 2016 hatte er Israels Museen und Galerien besucht.

Auch die Arbeit von Frances Morris, Direktorin der Tate Gallery of Modern Art in London, scheint nicht durch „israelkritische“ oder -feindliche Verbindungen kontaminiert zu sein.

Gleichwohl haben alle drei an der Nominierung von Ruangrupa mitgewirkt. Ihre Stellungnahmen zum Eklat um das drei Tage nach der Eröffnung abgebaute antisemitische Werk „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz sucht man derzeit vergebens. Die Gesamtzusammensetzung der Kommission lässt sie sich als weiteres Symptom für den Grad an Akzeptanz lesen, den die BDS-Bewegung und die „antikoloniale Israelkritik“ im Lauf der vergangenen Jahre in der Kunstwelt erlangt hat, in den Ländern des Südens ebenso wie in der westlichen Welt.

Für diesen Beitrag erhielt der Tagesspiegel eine Rüge des Deutschen Presserats, weil er ein Mitglied der Documenta-Findungskommission in der Überschrift falsch zitiert hatte und damit gegen journalistische Sorgfaltspflichten verstoßen habe. In der Titelzeile hieß es ursprünglich „Entscheiderin nannte Israel ‚Apartheidsstaat‘ - Der Antisemitismus-Skandal auf der Documenta war absehbar“. Zwar hatte die Entscheiderin nach der im Beitrag verlinkten Quelle gesagt, sie habe „es als Schock empfunden, dass junge Menschen Angst hätten, das Wort Apartheid auch nur auszusprechen“. Den als Zitat wiedergegebenen Begriff hatte sie aber nicht verwendet, und ihre Aussage bezog sich auf Südafrika. Wir haben den Text korrigiert.

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