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Buergel

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Documenta: Phrasen dreschen à la Buergel

Warum einfach, wenn's auch kompliziert geht: Mit der "Buergelmaschine", einer Internetseite der Literaturzeitschrift "Exot", kann jetzt jeder so sprechen wie der Documenta-Chef.

Von Barbara Munker, dpa

Manchmal ist Roger Buergel ganz leicht zu verstehen, vor allem wenn er schimpft. Kunsthändlern wirft der ruhige Documenta-Macher dann vor, dass sie zuweilen "wie Plünderer" seien; auf Kommerz bedachte Künstler nennt er "widerlich" oder schließt kurz: "Mir reicht das Gequatsche jetzt." Wenn Buergel aber schwärmt, ist das Zuhören oft mit Arbeit verbunden, etwa wenn er von einer "nicht intendierten, sondern nur in meinen Assoziationen schwingenden Form" spricht. Die "Buergelmaschine", eine Internetseite der Literaturzeitschrift "Exot", hilft nicht bei der Aufklärung, sorgt aber dafür, dass jetzt jeder so sprechen kann wie ein Documenta-Chef.

Die Handhabung ist simpel. Auf der Homepage der 2005 gegründeten Zeitschrift kann jeder ein Bild hochladen, eine Software kommentiert im Buergel-Stil. "Dogmatische Aussage der an Lyotards heuristischem Begriff einer operationalen Paraästhetik angelehnten Arbeit ist die Konstanz der Gestaltwahrnehmung", heißt es zu Franz Marcs "Blauen Pferden". Und Paula Modersohn-Beckers Selbstporträt scheint "das optische Raumkontinuum zu erzwingen und neue Formen der Organisation als kollektive Artikulation jenseits rationalen Verstehens verständlich zu machen".

Phrasen-Fundus

"Alles echt", sagt "Exot"-Herausgeber Christian Bartel, "wir verwenden nur Originalzitate und Feuilletonbegriffe". Die ARD-"Maus" hat der Documenta-Chef zwar ebenso wie das Schild "Fußballspielen verboten!" ("Projektionsfläche der verbissen missionarischen Arbeit") nie kommentiert, aber ansonsten beharrt Bartel auf Authentizität: "Die Software bedient sich aus einem Fundus von 40, 50 Phrasen und kombiniert sie so mit dem Bild, wie sie es für sinnvoll hält; per Zufall." Eine Barbusige wird dann so kommentiert: "Triviale Erkenntnis der unterkomplexen Arbeit "Höhepunkt" ist das Grundgefühl der Verlorenheit in Kassel."

"Wir haben uns durch Dutzende Interviews, naja, gequält", sagt Bartel. "So wunderbar luftige Formulierungen wie vom "weichen Raum" haben bei uns das Bedürfnis geweckt: Das will ich auch." Buergel wirft er vor, "vage, aber hochtrabend letztlich nichts zu sagen". "Das gilt zwar für viele Künstler oder Politiker, aber Buergel gehört zu den Prominentesten." Und so würden jeden Tag etwa 30 Bilder hochgeladen ("unser Server ist leider viel zu klein") und vom Computer mit nur zwei Sätzen ("Die haben aber die branchenübliche Überlänge") willkürlich kombiniert.

"Marilyn Monroe für mental Retardierte"

Dabei gelingen faszinierende Glückstreffer. Paris Hilton ("Marilyn Monroe für mental Retardierte") wird mit der "Ökonomisierung aller Lebensbereiche" in Zusammenhang gebracht. Einem "lachenden" Kamel bescheinigt die Buergelmaschine "sinnlichen Spaß als melancholische Reminiszenz" und den künstlich wirkenden Körpern von "Pool Girls" werden "formalisierte Strukturen der digitalen Informationstechnologie" zugeordnet: Ein "alchemistisches Gemeinschaftswerk von Kultur und Naturgewalt", die gleichsam "Projektionsfläche von ökonomischem Kalkül" seien.

"Etwa ein Drittel der Leser lädt klassische Kunstwerke hoch. Ein zweites Drittel stellt eigene Arbeiten ein, manchmal künstlerisch durchaus ansprechend", sagt Bartel. Das letzte Drittel sei "vollkommen albernes Zeug": Wurstteller, Comics, Toilettenschüsseln (Duchamp lässt grüßen) oder Herrenfeinrippschlüpfer. Und immer wieder Adolf Hitler, der echte oder der - von Charlie Chaplin bis Helge Schneider - nachgemachte. "Offenbar ist er mittlerweile ein Garant für Komik", vermutet Bartel.

"Wirbelndes Formgeschlinge"

Der falsche Buergel kommentiert kopulierende Hunde ("Appell an eine allgemeinmenschliche Solidarität"), das Ortsschild von "Pissen" in Sachsen-Anhalt ("Kraft der Natur") und den Einband des neuen "Harry Potter"-Buches ("wirbelndes Formgeschlinge" und "Erziehungsimpetus der über die ontologischen Fallstricke ihrer Theoretisierung stolpernden Arbeit").

Kein Wunder, dass das Original die Kommentare nicht kommentieren will. "Herr Buergel möchte dazu nichts sagen", heißt es offiziell von der Documenta. Hinter den Kulissen ist man etwas verstimmt, schließlich seien Buergels Phrasen nicht schlimmer als die anderer in der Branche. Im Gegenteil, gerade Buergel bemühe sich - manchmal - um klare Worte. Und so hofft die Documenta, dass sich die "Buergelmaschine" totläuft. Die Hoffnung scheint nicht unbegründet. Eines der letzten Werke wurde vom anonymen Nutzer "diebuergelmaschinewirdlangweilig" genannt.

Internet: Buergelmaschine

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