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Traumatherapie. Poh-Lin Lee kümmert sich um die Gestrandeten.

© Grandfilm

Doku über Geflüchtete im Pazifik: Die Krabben dürfen herumziehen, die Menschen nicht

Auf der Weihnachtsinsel helfen Menschen bei der „Krabbenmigration“ - nebenan sind Geflüchtete interniert. Die poetische Doku „Die Insel der hungrigen Geister“.

„Krabbenmigration“ steht in großen Lettern auf den Schildern, mit denen die Krabbenbeauftragten auf der Weihnachtsinsel jene Straßen sperren, über die Krustentiere aus dem Urwald zum Strand wandern, um sich dort zu vermehren. Die Helfer bauen sogar improvisierte kleine Brücken – auf der zu Australien gehörenden Insel wird viel getan für die autochthonen, rot leuchtenden Tiere. Für Menschen, die aus anderen Ländern kommen, dagegen weniger. Sie haben in Gabrielle Bradys Dokumentarfilm „Die Insel der hungrigen Geister“ eine gespenstische Präsenz, sind kaum sichtbar.

Auf der Weihnachtsinsel vor der Küste Javas befindet sich das „Immigration Reception and Processing Centre“, die australische Version eines Anker-Zentrums. Offiziell ist Platz für 2300 Asylsuchende, die für unbestimmte Zeit festgehalten werden können. Vor einem Jahr wurde das Internierungslager geschlossen, aber nur vier Monate später kündigte Premierminister Scott Morrison an, die Einrichtung wieder in Betrieb zu nehmen.

Die Australierin Brady, die in Kuba Dokumentarfilm studierte, durfte das Lager nicht filmen, inzwischen stehen auf die Weitergabe von Informationen aus diesen Einrichtungen bis zu zwei Jahre Gefängnis. Die Anlage ist in „Die Insel der hungrigen Geister“ nur aus der Entfernung zu sehen, vom Dschungel aus. Im Mittelpunkt steht die Traumatherapeutin Poh-Lin Lee, die mit einigen Insassen deren Erlebnisse und aktuelle Situation aufarbeitet. Die Kamera ist bei den Gesprächen nahe dabei, bleibt aber zurückhaltend, eine teilnehmende Beobachtung.

Interniert im Lager, auf unbestimmte Zeit

In den letzten Jahren wurden viele Strategien erprobt, um das Schicksal von Flüchtenden filmisch zu dokumentieren und für nicht Betroffene nachvollziehbar zu machen. „Die Insel der hungrigen Geister“ findet einen sehr poetischen Weg, Brady setzt auf die Kraft ihrer Bilder und auf die Metaphorik durch das besondere Setting und die Montage. Der Film erzeugt gerade durch seine leise Art Tiefgang und ist zugleich ein ästhetisches Ereignis. Er lebt vor allem vom Dialog, den Brady zwischen Naturbildern voller Leben, religiösen Mythen und den Folgen der (Nicht-)Einwanderungspolitik anstößt.

Die Regisseurin verzichtet dabei auf Off-Kommentare, Kontext und Erklärungen gibt es nur punktuell durch die Nachrichten im Radio, die von einem tot aufgefundenen Vermissten berichten. Oder als Antwort auf Kinderfragen. „Wie, die dürfen nicht raus?“, fragt die Tochter Poh-Lin Lee ungläubig. Wie viele Minuten die Menschen denn in dem Lager bleiben müssten, will sie wissen. Manche sind dort jahrelang interniert, in endloser Ungewissheit. Normale Gefängnisinsassen wüssten immerhin, wann sie wieder rauskommen, sagt die Therapeutin.

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Ende des 19. Jahrhunderts besiedelten die britischen Kolonialherren die Weihnachtsinsel mit Arbeitskräften aus China und Malaysia. Die Geister dieser ersten Siedler sind in einer Zwischenwelt gefangen und müssen durch Brandopfer befreit werden, glauben ihre Nachfahren. Etwas Ähnliches versuchen Organisationen wie Poh-Lin Lees eigene Initiative für die Geflüchteten zu erreichen.

Ein Insasse hat sich den Mund zugenäht

Aber ihre Bemühungen scheinen zunehmend wirkungslos. Termine für die Sitzungen werden immer öfter abgesagt. Warum die Betroffenen nicht kommen können, bleibt meist im Dunkeln. Ein Insasse, seit 17 Monaten interniert, erzählt, wie er sich nach einem gewaltsam aufgelösten Protest den Mund zugenäht hat, weil ihm auch das Recht auf Meinungsäußerung verweigert wurde. Das eigene Leben sei das einzige, über das man im Lager noch selbstständig entscheiden könne, meint die Therapeutin später. Nämlich, indem man es sich nimmt.

„Du musst ihnen die Chance geben, herumzuziehen und zu tun, was sie tun möchten, weißt du?“, erklärt ein Inselbewohner am Anfang des Films. Er meint aber nur die Krabben.

Arno Raffeiner

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