zum Hauptinhalt
Der iranische Kamantschen-Virtuose Kayan Kalhor vom Silk Road Ensemble mit der türkischen Sängerin Aynur Dogan.

© Silk Road Project

Dokumentarfilm über das Silk-Road-Project: Ein ganzes Schicksal in einem Ton

In seinem neuen Dokumentarfilm „The Music of Strangers“ folgt der oscarprämierte Regisseur Morgan Neville dem Silk-Road-Project - und enthüllt Brüche, privat wie historisch.

Von Gregor Dotzauer

Das eine ist der Rausch. Wie Yo-Yo Mas Silk Road Ensemble gleich zu Anfang unter den Himmeln des Bosporus loslegt, lässt jedes Herz und jedes Bein höher hüpfen. Das andere ist der Kater. Ist diese aus verschiedensten Traditionen zusammengerührte Musik nicht ein einziger Orientpudding? Ein triumphales „We Are The World“, das jede kulturelle Differenz leugnet? Das Erstaunlichste an Morgan Nevilles Dokumentation „The Music of Strangers“ ist, dass er ausbleibt. Und zwar nicht, weil sie unverdächtig wäre, einem alles umarmenden Wohlfühlpazifismus zu huldigen, sondern gerade weil sie mit der Geschichte jedes Einzelnen, der hier nach und nach aus dem Kollektiv heraustritt, unwillentlich ein Stück gegen die eigene Mission anarbeitet.

Sie sind mehr oder weniger alle Fremde. Fremde im Land ihrer Herkunft und Fremde in den USA, auch wenn sie füreinander Freunde geworden sind. Sie tragen ihren oft von sich selbst entfremdeten Kulturen das musikalische Erbe hinterher, und dass sie sich zumeist ruhmreich eingerichtet haben in ihren Zwischenwelten, betäubt nur den ersten Schmerz. Der Einzige, der eine Art natürlicher Hybridität mitbringt, ist der Leiter dieses 1998 gegründeten Ensembles, der als Sohn chinesischer Eltern in Paris geborene und in New York aufgewachsene Cellist Yo-Yo Ma. Doch selbst für ihn war das Silk-Road-Projekt zunächst eine Flucht. Er, das einstige Wunderkind, wollte der Betriebsmüdigkeit entkommen, die er in 30 Jahren rein klassischer Musik angesammelt hatte. So rastlos, wie ihn Morgan Neville zeigt, hat er damit tatsächlich eine neue Berufung gefunden.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

„The Music of Strangers“ blättert einen ebenso beschwingten wie dramaturgisch zuweilen erratischen Bilderbogen von den Anfängen des Silk Road Ensembles bis in die Gegenwart auf. Dabei kommen neben Yo-Yo Ma persönlich Weggefährten und Zeugen zu Wort, von den Komponisten Tan Dun und Osvaldo Golijov bis zu seinem Sohn. Die Höhepunkte des Films sind allerdings die Miniporträts von vier ausgewählten Instrumentalisten. Was zunächst wie in einen Topf geworfen wirkt, entmischt sich wieder.

Cristina Pato, die Virtuosin der Gaita, des iberischen Dudelsacks, begleitet er nach Galicien, wo sie ein Festival zur Bewahrung der eigenen Kultur ausrichtet. Den Klarinettisten Kinan Azmeh hält er in der ganzen stillen Verzweiflung fest, die ihn als Botschafter seiner syrischen Heimat auszeichnet. Wu Man, die den Verheerungen von Maos Kulturrevolution entrann und den Ruf der Pipa, der chinesischen Schalenhalslaute, mit atemraubender Meisterschaft hinaus in alle Welt und wieder zurück trug, begleitet er in ihr Heimatdorf. Kayhan Kalhor schließlich, einen Iraner kurdischer Herkunft, der es im Exil nicht aushielt, stellt er als letzten Meister der Kamantsche vor, einer Streichlaute, deren richtige Spielweise er Jüngeren nahezubringen versucht, bevor sich niemand mehr darauf versteht. Im melancholisch klagenden Ton des Instruments hört man das ganze Schicksal, das er mit sich herumträgt.

Morgan Neville, der sich zuletzt mit „20 Feet from Stardom“ über Backgroundsängerinnen im Pop einen Namen machte, enthüllt sehr viel mehr historische und private Brüche und Verbindungen, als er es vermutlich im Sinn hatte. Um von einer sich in ihrer Subtilität zusehends erschließenden Musik zu erzählen, die sich im Namen der alten Seidenstraße und ihrer Handelswege auf das unvermeidliche Miteinander von West und Ost, Christentum, Buddhismus und Islam bezieht, ist das für anderthalb Stunden mehr als genug.

OmU: Babylon Kreuzberg, Cinema Paris, Filmtheater am Friedrichshain

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false