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Britney Spears wurde in der Ära der Boybands zum ersten weiblichen Teeniestar.

© Felicia Culotta/Amazon

Dokumentation „Framing Britney Spears“: Böses Mädchen, gut fürs Geschäft

Die Dokumentation „Framing Britney Spears“ beschreibt den Sexismus in den Medien. Nach über 20 Jahren können Spears, Dylan Farrow und Monica Lewinsky endlich ihre Version erzählen.

Von Andreas Busche

Im November 2003 strahlte der amerikanische Sender ABC ein einstündiges Interview mit der damals 21-jährigen Britney Spears aus, auf das die Fernsehnation über ein Jahr gewartet hatte. Es erschien auf dem Höhepunkt der Spekulationen um das Ende der dreijährigen Beziehung des Pop-Traumpaares Britney Spears und Justin Timberlake im Jahr zuvor. Die Gerüchteküche brodelte seitdem, befeuert durch das Solodebüt „Justified“ des ehemaligen NSYNC-Sängers, das Timberlake als „Trennungsalbum“ promotete.

In Interviews äußerte er sich nur vage zu den Gerüchten, Spears hätte ihn betrogen, aber das Video zur zweiten Single „Cry Me a River“ ließ keinen Zweifel an seiner Version. Den Rest erledigten die Medien für ihn. „Was hast Du getan?“, wollte ABC-Moderatorin Diane Sawyer von Spears wissen – und sprach damit einem Millionenpublikum aus den Herzen.

Dieser Ausschnitt ist nun in der einstündigen Dokumentation „Framing Britney Spears“ zu sehen, einer Produktion der „New York Times“ zum laufenden Vormundschaftsstreit zwischen der seit 13 Jahren unmündigen Spears und ihrem Vater – und über die „Free Britney“-Fankampagne. Die Sängerin kommt in der Dokumentation nur in Archivaufnahmen zu Wort, ihr Rechtsbeistand reagierte auf Anfragen der „Times“-Redaktion nicht.

Aber das Bild, das die Regisseurin und Produzentin Samantha Stark von dem „Fall Britney Spears“ entwirft, gewährt auch so einen atmosphärischen Einblick in die Kultur der späten neunziger Jahre, als sich seriöse Nachrichtenmedien und der Boulevard in ihrer Sensationslust regelrecht zu übertrumpfen versuchten.

Vom All-American-Girl zum "Psychowrack"

Fragen nach ihren Brüsten oder ihrer Jungfräulichkeit musste der Teenager vor laufenden Kameras beantworten. In einem Interview mit dem CBS-Moderator Matt Lauer fasste Spears 2006 ihre öffentliche Demontage nach diversen „Skandalen“ sarkastisch zusammen: „That’s America for you!“

Der Titel „Framing Britney Spears“ bedient sich eines relativ neuen Begriffs aus der politischen Praxis: „Framing“ bezeichnet die Methode, einer Geschichte durch selektive Informationen einen neuen Dreh („Spin“) zu geben.

Im Fall von Spears handelt es sich dabei um die Frage, wie aus dem All-American-Girl der späten Neunziger, das im Cheerleader-Kostüm „Baby One More Time“ sang, das „Psychowrack“, so die Darstellung in den Medien, wurde, das kahlrasiert mit einem Schirm auf Paparazzi losging.

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Spears’ Geschichte ist aufschlussreich, weil das, was ihr vor zwanzig Jahren passierte, kein Einzelfall war. Die Dokumentation zieht eine direkte Parallele zu Monica Lewinsky, die nach der Enthüllung ihrer Affäre mit dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton einen unfreiwilligen walk of shame durch die US-Medien machte.

Sie wurde als „Schlampe“ und „Ehezerstörerin“ beschimpft; vergessen waren da bereits die Anschuldigungen von Paula Jones gegen Clinton wegen sexuellen Missbrauchs vier Jahre zuvor. Der Präsident hatte Jones’ Vorwürfe kurz vor seinem Amtsenthebungsverfahren 1998 mit einer außergerichtlichen Einigung aus der Welt geschafft. So gelang es Clintons Anwälten, ihn als Opfer der Praktikantin Monica Lewinsky zu inszenieren.

Mit intimen Fragen traktiert

Mit fast zwanzig Jahren Abstand ist „Framing Britney Spears“ umso erschütternder. Nicht nur wegen ihrer Tränen, wenn sie von ihren – männlichen wie weiblichen – Interviewern mit intimsten Fragen traktiert wird. (CBS-Star Matt Lauer, im Übrigen, wurde 2017 im Zuge von MeToo-Enthüllungen von seinem Arbeitgeber gefeuert.)

Man erinnert sich auch wieder an die eigenen Witze über die durchgeknallte, glatzköpfige Spears, wenn sie wieder mal von einem Paparazzo überrumpelt worden war. Alle waren dem „Framing“, der Manipulation der Wahrnehmung (ein Celebrity-Theater, keine menschliche Tragödie), aufgesessen. „Danke, Britney, wenn du ein böses Mädchen bist, ist das gut für mein Geschäft“, meint in „Framing Britney Spears“ ein Paparazzo unter der reißerischen Schlagzeile „Top Five Celebrity Train Wrecks“.

Dieses „Framing“ ist nicht ganz zufällig stets männlich konnotiert. Frauen kommen in dieser Erzählung lediglich in den Rollen der „Schlampe“, „Ehebrecherin“ oder „schlechten Mutter“ vor. Ein „New York Times“-Kritiker sagt in „Framing Britney Spears“ über Ex-Boyfriend Timberlake: „Er übernahm die Kontrolle über das Narrativ.“ Als das Gerücht in der Welt war, Spears freizügige Auftritte und Fotos dienten als Beweis, konnte die Öffentlichkeit mit ihr ins Gericht gehen.

Die Medien übernehmen die Version der Männer

Gerade lief auf dem amerikanischen Bezahlsender HBO die vierteilige Dokuserie „Allen v Farrow“, eine chronologische Rekapitulation der jahrzehntealten Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen den Hollywood-Regisseur Woody Allen. Die Filmemacher:innen dokumentieren mit Gerichtsakten, Archivaufnahmen und Zeitzeugeninterviews, wie Allen, noch bevor der Vorwurf Mia Farrows, er habe seine damals siebenjährige Tochter Dylan sexuell missbraucht, öffentlich wurde, seine PR-Maschine anwarf.

Seit zwei Jahren fordern Fans von Britney Spears ein Ende der Vormundschaft für den Popstar.
Seit zwei Jahren fordern Fans von Britney Spears ein Ende der Vormundschaft für den Popstar.

© The New York Times

Die Medien übernahmen damals quasi in Echtzeit die Version seiner spin doctors, Farrow erhebe die Vorwürfe aus bloßer Rache. Diese Version sickerte über 25 Jahre in das kollektive Unterbewusstsein ein – bis zum Aufkommen der MeToo-Bewegung.

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Es ist kein Zufall, dass innerhalb weniger Monate drei solcher Fälle aus den neunziger Jahren aufgearbeitet werden. Auch die Geschichte von Monica Lewinsky, die beinahe zur Amtsenthebung von Bill Clinton geführt hätte, kehrt 2021 auf den Bildschirm zurück – nicht dokumentarisch, sondern bezeichnenderweise im Rahmen der Dramaserie „American Crime Story“.

Monica Lewinsky ist Aktivistin gegen Cyberbullying

Lewinsky, die seit ihrem TED-Talk 2018 in den USA eine bekannte Aktivistin gegen Cyberbullying und Hass in den sozialen Netzwerken ist, hat die achtteilige Staffel produziert. Der Wortlaut ihrer Ankündigung klingt fast wie die Umkehrung des Satzes über Justin Timberlake aus der Spears-Dokumentation: „Es ist Zeit, die Kontrolle über meine Geschichte zurückzugewinnen.“

Es wäre ein Leichtes, den Umgang mit Frauen in den Medien nach MeToo auf das Klima in den Neunzigern zu schieben. 1991 wurde die Juristin Anita Hill nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung gegen den Obersten Richter Clarence Thomas einer politischen Intrige bezichtigt. Doch es ist keine drei Jahre her, dass Christine Blasey Ford in der öffentlichen Anhörung von Brett Kavanaugh im Justizausschuss dasselbe wiederfuhr.

Darum ist dieses „Neunziger Jahre Revival“ so nötig. Heute können sich Britney Spears, Monica Lewinsky und Dylan Farrow sicher sein, dass ihnen Millionen von Unterstützer:innen zuhören. (Auf Amazon)

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