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Kultur: Doppelt sehen mit Gregor Schneider

Der Künstler zeigt zwei identische Ausstellungen

Irgendwann sieht man wirklich alles doppelt. Und das, obwohl in der Galerie Konrad Fischer noch aufgebaut wird. Da ragen zwei Kinderbeine aus einer blauen Mülltüte, die sofort als Artefakt erkennbar, aber schrecklich anzusehen sind. Als wäre dies nicht Irritation genug, stolpert der Blick anschließend über ein zweites, starr ausgestrecktes Beinpaar. Das gehört allerdings einem pausierenden Handwerker, wie sich nach einem weiteren Schritt durch den Türrahmen klärt.

Trotzdem: bei Gregor Schneider ist man schon im Vorfeld auf vieles, wenn nicht alles gefasst, seit der deutsche Bildhauer den Kunstskandal dieses Sommers losgetreten hat. Eine britische Kunstzeitung veröffentlichte im April ein Interview mit Schneider, in dem er äußerte, er wolle eine „eines natürlichen Todes sterbende Person oder jemanden, der gerade gestorben ist“, in einem vom Künstler gefertigten Raum ausstellen. „Mein Ziel ist, die Schönheit des Todes zu zeigen“, fügte Schneider hinzu.

Von diesem Vorhaben hat er sich bis heute nicht distanziert. Auf den künstlerischen Anflug von Größenwahn folgte erwartungsgemäß die öffentliche Empörung. Mit triftigen und teils auch dummen Argumenten. All das legt sich nun wie Mehltau auf die Rezeption eines unbestritten bedeutenden Werkes. Verdienten Ruhm hat sich Gregor Schneider mit dem „Haus u r“ in Mönchengladbach-Rheydt erworben: In einem „Work in progress“ baut er seit 1985 das Mehrfamilienhaus aus dem früheren Besitz seiner Eltern um. Räume werden vervielfältigt und in befremdliche Bewegung versetzt. Es gibt unzugängliche Hohlräume, während Schneider in anderen Teilen des Hauses mit künstlichen Lichtquellen Tageszeiten simuliert. 2001 gewann der Künstler mit dem nach Venedig gleichsam überführten und im Deutschen Pavillon noch einmal aufgebauten „Toten Haus u r“ den Goldenen Löwen der Biennale – ein Kraftakt, schließlich ist das Haus längst auseinandergenommen und sind die Fragmente auf diverse Privatsammlungen verteilt.

Zu den zentralen Merkmalen der Schneider’schen Kunst gehört der Nachbau, der an einen anderen Ort verpflanzte Gebäudezwilling, der Raumklon. „Doublings“, Verdopplungen heißt die neue Ausstellung bei Konrad Fischer, dem Schneider seit 1993 verbunden ist. Neben dem Stammhaus in Düsseldorf existiert seit 2007 eine Dépendance in Berlin. Letztere wurde nun durch bauliche Maßnahmen dem Düsseldorfer Grundriss angepasst. An beiden Orten stellt Gregor Schneider parallel aus, und zwar exakt die gleiche Installation. Neben identischen, morbid wirkenden Skulpturen ist hier wie dort das Videobild einer Straßensituation zu sehen (Preise auf Anfrage).

Die Kern-Installation des Ausstellungszwillings treibt das Doppelspiel auf die Spitze. Zweimal zwei „Jungenzimmer“ werden ab heute zu besichtigen sein, unter deren spärlicher Beleuchtung eine pinkfarbene Matratze liegt. Hier wie dort wird der eine Raum betretbar, der andere nur durch einen halb durchlässigen Spiegel zu betrachten sein. Offenbar will Schneider die Perspektive teilen, sodass der Betrachter sich wahlweise als Opfer, als Täter oder als Beobachter fühlen kann. Die Ideen, die einem sofort dazu in den Sinn kommen, hätte Schneider indes auch in Form schriftlicher Manifeste auf die Raufasertapete drucken können.

Anders als sein subtil-gespenstisches „Haus u r“ löst das Ensemble weniger mulmige Gefühle denn platte Assoziationen aus. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Über das Tabuthema Kindesmissbrauch muss geredet werden. Ob eine Horrorfilmkulisse aber die Auseinandersetzung fördert? In Düsseldorf und Berlin manövriert sich Gregor Schneider tiefer in die künstlerische Sackgasse. Doppelt und dreifach.

Galerie Konrad Fischer Berlin, Lindenstr. 35; bis 9.1.2009, Di-Sa 11-18 Uhr / Konrad Fischer Düsseldorf, Plantenstr. 7; bis 9.1., Di-Fr 11-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Jens Hinrichsen

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