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Einen vor, zwei zurück. der 18-jährige Nic (Timothée Chalamet) zwischen Rausch und Reha.

© Francois Duhamel

Drama „Beautiful Boy“ im Kino: Wiegenlied zum Entzug

Ein Vater versucht, seinen Sohn zu retten: das bewegende Drogendrama „Beautiful Boy“ mit Nachwuchsstar Timothée Chalamet.

Warum? Auf die Frage gibt es keine Antwort. Warum der 18-jährige Nic Sheff irgendwann das Leben nur noch mithilfe von Betäubungsmitteln ertragen konnte, weiß wohl nicht mal er selbst so genau. „Ich wollte einen Weg finden, dieses schwarze Loch in mir zu füllen“, sagt er einmal. Er begann mit Joints, dann lernte er im Internet, wie man sich Heroin spritzt, schließlich landet er bei Crystal Meth. Das Amphetamin verschafft ihm etwas, „das ich schon immer gesucht hatte“: ein Hochgefühl, das ihn schnell süchtig macht.

Drogensucht ist in den USA zu einer Epidemie geworden. Millionen Menschen sind abhängig von Schmerzmitteln, bei den unter 50-Jährigen sind Drogen die häufigste Todesursache. Wegen dieser „Opiat-Krise“ hat der Präsident bereits 2017 den nationalen Notstand ausgerufen. „Beautiful Boy“, das Hollywooddebüt des Belgiers Felix van Groeningen, zeigt ähnlich wie der vor zwei Wochen angelaufene „Ben is Back“ mit Julia Roberts, wie hilflos Eltern reagieren, wenn ihre Kinder zu Drogenopfern werden. „Ich weiß nicht, wie ich ihm helfen kann“, verzweifelt Nics Vater David Sheff, gespielt von Steve Carell. Sein Sohn ist ein Junkie, aber für den Vater, einen Rock-Journalisten, bleibt er für immer der kleine Junge, dem er früher John Lennons bittersüße Ballade „Beautiful Boy“ als Einschlaflied vorgesungen hat.

„Beautiful Boy“ ist ein schauspielerisches Fest

Gut möglich, dass Sheff Lennon einmal persönlich kennengelernt hat. An den Wänden des Hauses, in dem er mit Nic, seiner zweiten Ehefrau und ihren beiden gemeinsamen Kindern im Marin County bei San Francisco lebt, hängen Fotos, die ihn mit Popstars zeigen. Alles strahlt eine Aura von Geschmack und Geborgenheit aus. Doch die sonnendurchflutete Idylle des aus Holz und Glas errichteten Hauses ist trügerisch. David Sheff wirkt verschlossen, leicht verschroben. Wenn er seinen Kindern versichert, dass er sie liebe, erinnert das eher an eine Pflichtübung. Carell spielt ihn mit starrer Mimik und größtmöglicher Lakonie.

Der Sohn (Nachwuchsstar Timothée Chalamet aus „Call Me By Your Name“) erscheint wie ein Gegenentwurf: ein Kindskopf mit überschäumendem Temperament, pendelnd zwischen Trübsinn und Euphorie. Sein Lachen ist unwiderstehlich. Das Aufeinandertreffen von Chalamets rebellischer Explosivität und Carells stoischem Minimalismus macht „Beautiful Boy“ zu einem schauspielerischen Fest.

Nic verehrt F. Scott Fitzgerald und die Grunge-Band Melvins und träumt davon, Schriftsteller zu werden. Erst einmal möchte er aber „ein bisschen feiern“, bis zum Exzess. Die Substanzen, die dabei helfen, kennt er nur zu gut. Wie sehr er schon abhängig ist, kann er lange verbergen. Einmal bietet er seinem Vater einen Joint an. Der Vater grinst, lehnt aber ab. Natürlich hat er früher gekifft, doch inzwischen ist ihm ein gesundes Leben wichtiger als Sex, Drugs und Rock ’n’ Roll.

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Und er hat hohe Erwartungen an seinen ältesten Sohn. „Es tut mir leid, ich habe dich immer nur enttäuscht“, wird Nic ihm später unter Tränen sagen. Da ist er bereits, statt sich auf dem College einzuschreiben, in einer Entzugsklinik gelandet. Nach ein paar Wochen haut er wieder ab. „Sie sollten das als Teil des Prozesses sehen“, erklären die Ärzte. „Rückfälle gehören zur Therapie.“ Kein Trost für einen Vater. Der Junge, der ihm fremd geworden war, ist nun ganz aus seinem Leben verschwunden.

Schon in „The Broken Circle“ (2012), der vom Leukämie-Tod eines kleinen Mädchens handelt, beschäftigt sich van Groeningen mit einem familiären Ausnahmezustand. Sein letzter Film „Café Belgica“ spielt in einem Technoclub in Gent, feierte in strahlenden Bildern die Nacht, die Musik und die Drogen. Vom Rausch sind in „Beautiful Boy“ nur noch die Angst und die Einsamkeit übrig.

Das Buch basiert auf den Büchern von David und Nic Sheff

In einer der bewegendsten Szenen versucht Nic seine Freundin wiederzubeleben, die nach einer Überdosis im Auto kollabiert ist. Er selbst hat sie an die Nadel gebracht. Nic lügt, klaut und begeht Einbrüche, der Vater tut alles, um ihn zu retten. Er recherchiert, spricht mit Experten und Therapeuten, probiert sogar selber Crystal Meth aus. Als er Nic in einer Regennacht völlig durchnässt an einer Straßenecke findet, ist er so weit, dass er endgültig aufgeben möchte. Am Telefon bettelt sein Sohn: „Ich will aufhören, bitte hilf mir!“ David legt auf.

„Beautiful Boy“ springt zwischen den Zeiten, ist aber konventioneller erzählt als van Groeningens frühere Filme. Man sieht Nic als kaputten Süchtigen und gleich danach als Kleinkind, das vom Vater nach der Scheidung der Eltern zum Flughafen begleitet wird, um die Mutter in Los Angeles zu besuchen. Irgendwann muss es einen Knacks gegeben haben in diesem jungen Leben. Dass ein Drogendrama hier vor allem als Vater-Sohn-Konflikt geschildert wird, verleiht dem Film emotionale Wucht. Die Sucht zerstört das Leben der Süchtigen, aber auch das ihrer Angehörigen.

Der Film basiert auf den beiden Büchern von David und Nic Sheff, die in den USA Bestseller waren. Man verrät also nicht zu viel, wenn man sagt, dass der Sohn überlebt hat. Das ist kein Grund zur Entwarnung. Denn die aktuelle Epidemie in den USA ist nicht gebannt, das Sterben geht weiter.

In 6 Berliner Kinos, OmU: Delphi Lux, Kulturbrauerei, Rollberg

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