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Kultur: Draußen hinter der Tür

1994 forderte der Bürgerkrieg in Ruanda eine Million Opfer. Der Film "Hotel Ruanda" von Terry George erzählt die Geschichte eines Hotelmanagers, der unter Einsatz seines Lebens mehr als 1200 Flüchtlinge vor dem sicheren Tod rettete.

(Der Tagesspiegel, 06.04.2005)

- Ein Film über den Völkermord der Hutu an den Tutsi. Sehr notwendig, aber darum noch lange nicht machbar. Der gute Wille ist im Kino ein schlechter Ratgeber, und letztlich bleibt bei solchen Vorhaben meist nicht viel mehr, als eben diesen Willen zu loben. Auf der diesjährigen Berlinale gab es gleich zwei Ruanda-Filme. In den ersten, "Hotel Ruanda", der am 11. Jahrestag des Genozid-Beginns in die Kinos kommt, ging man noch mit jener Überheblichkeit, die den Ausgang eines Unternehmens schon vor seinem Anfang zu kennen glaubt. Und wurde stattdessen Versuchsperson in einem Exerzitium, das einen von Anfang bis Ende in der Hand hielt. Selten war man einem Film gegenüber so wehrlos. Kritiker sagen gern, was ein Film falsch gemacht hat. Hier war es unmöglich. Nichts?

Die Distanzierteren erklären: "Hotel Ruanda" ist sehr konventionell erzählt, und das ist immer ein leiser Tadel. Aber ist es nicht großartig, wenn das Konventionelle so unkonventionelle Wirkungen hervorbringt? Und ohne Stilisierungen, Brüche und sonstige Bedeutungsgesten auskommt? Ja, Terry George erzählt eine einfache Geschichte, und die musste er nicht einmal erfinden. Ohnehin sollte man vorsichtig sein mit dem Erfinden mitten in einem Völkermord. Diesen ruandischen Hotelmanager gab es wirklich. Er heißt Paul Rusesabagina und kam mit seiner Familie zur Berlinale-Premiere "seines" Films.

Am letzten Tag des Friedens fährt Paul im Auto durch die Stadt und philosophiert über das Wesen der Zigarren. Erst wer in der Lage ist, über dem Geschmack einer Havanna die ganze Welt zu vergessen, hat den Rang der Dinge begriffen. Paul, williger Zögling westlicher Verfeinerungstechniken, ist längst gewonnen für diese Welt, für den gedämpften Ton in seinem Luxushotel, gegen den das Draußen eine Zumutung ist. Wer wissen will, was Zivilisation ist, muss in die Lounge von Pauls Sabena-Hotel gehen. Sehr tröstlich, dass es solche Hotels überall gibt, denkt Paul. Und wenn er im Auto das Hutu-Radio RTML hört mit seinen Botschaften an alle "guten Hutu", dann ist der Hutu Paul als möglicher Empfänger solcher Botschaften längst verloren.

Der in Kansas geborene Don Cheadle spielt diesen feingliedrigen, feinnervigen Mann, der vieles ist, aber eins auf keinen Fall: ein Kämpfer. Am Abend fährt er nach Hause zu Frau und Kindern wie alle Hotelmanager dieser Erde, und er hat eine wirklich schöne Mittelstandsfrau (Sophie Okonedo) und schöne Mittelstandskinder und ein schönes Mittelstandshaus. Nur dass es etwas laut wird in der Nachbarschaft am Abend, und vielleicht haben Paul und seine Frau lange nicht mehr daran gedacht, dass er ein Hutu ist und sie eine Tutsi.

Raoul Peck, der Regisseur von "Sometimes in April", des zweiten Ruanda-Films auf der Berlinale, der alles anders macht und uns die Leichen dieses Völkermords gleichsam vor die Füße wirft, erklärte die Geschichte der Tutsi und Hutu auf seiner Pressekonferenz. Erst die belgischen Kolonialherren hätten die Tutsi und die Hutu erfunden, also die "Eingeborenen" klassifiziert nach etwas hellerer und etwas dunklerer Hautfarbe. Der Westen, der Fortschritt als der große, latent mörderische Gleichmacher? Und mörderischer Ungleichmacher, indem er die Tutsi-Minderheit privilegierte? Das ist der Resonanzboden des Hutu-Power-Radios. Vielleicht hätten die UN-Truppen bei ihrem Abzug aus Ruanda einfach nur diesen Radio-Sender stürmen sollen, den Anführer des großen Mordens.

Unvergesslich, wie Paul die hohe Gartentür seines Grundstücks öffnet, auf der anderen Straßenseite Hutu-Milizen vor dem Hause der Nachbarn sieht - und die Tür wieder schließt. Kein "Aufstand" des "Anständigen" Paul. Solche Formeln sind nicht für den Ernstfall gemacht. Nicht für Nichthelden wie Paul und uns. Dass er dann doch einer wird, dafür kann er nicht. Mit dem Hutu-Revolver an der Schläfe zählt er Geld, um seine Familie und die Tutsi-Nachbarn freizukaufen. Mörder haben meist viel Sinn für Demütigungen. Und Paul spielt mit. Wenn er das Hotel erreicht, werden alle in Sicherheit sein. Der UN-General in Ruanda (großartig desillusioniert: Nick Nolte) ist sein bester Gast, er schätzt Pauls gastgeberische Fähigkeiten. Überhaupt, die UN! Sie kommt wirklich, Paul hat es gewusst. Sie kommt, um die Europäer zu evakuieren.

Und Paul lernt einen ganzen Film lang, dass er nicht nur schwarz ist, sondern außerdem Afrikaner. Und wir lernen es mit. Dass der Westen, dargestellt von Pauls Hotel, mitspielt in Georges Film, und zwar die zweite Hauptrolle, ist vielleicht sein genialstes Moment. Die Kamera verlässt Pauls Gesicht fast nie. Und es verrät mehr, als er sagt. Vielleicht mehr, als er selbst weiß. Zum Beispiel, dass die Zivilisation vielleicht doch nur eine Angelegenheit der Hotellounges ist. Und die einen bauen Lager mit Schornsteinen für ihre Massenexekutionen, die anderen leisten noch immer Handarbeit. Fast eine Million Menschen, getötet mit der Machete. Aber wir sehen die Toten nicht. Terry George zeigt das Unzeigbare, indem er es konsequent nicht zeigt. Wir sind Kleinweltlebewesen. Im Angesicht ganzer Leichenfelder versagt unser Gefühl und auf unverhohlene Anklagen reagieren wir mit Abwehr, aber als Pauls LKW eines Nachts auf vermeintlich sicherer Straße plötzlich zu schwanken anfängt, wissen wir schon früher als er, wo er ist. Und dass "eine mit Leichen gepflasterte Straße" manchmal mehr ist als ein besonders dummer Allgemeinplatz. (Von Kerstin Decker)

Ab Donnerstag in neun Berliner Kinos; Originalversion im Cinestar SonyCenter, OmU im Neuen Off (tso)

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