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Kultur: Drei Farben: Schwarz

Seebühnenspektakel: Verdis „Trovatore“ bei den Bregenzer Festspielen

Die Hauptdarstellerin erscheint pünktlich zum Vorstellungsbeginn: Um Viertel nach neun senkt sich die Nacht über den Bodensee und hüllt die Seebühne der Bregenzer Festspiele in ihr Dunkel. Ein großzügiges Geschenk der Natur – denn rein künstlerisch betrachtet braucht man für eine Aufführung von Verdis „Trovatore“ ja nicht mehr als ein Orchester, eine Hand voll erlesener Sänger und eben dieses samtschwarze Nichts, das die Figuren in Verdis düsterster Oper gebiert, ihre Flüche und Sehnsuchtsarien aufnimmt und sie am Ende sang- und klangvoll wieder verschluckt.

Wohl keine Oper des 19. Jahrhunderts, nicht mal Wagners „Tristan“, ist so durch und durch nachtseitig wie der „Trovatore“: Eine Schauergeschichte, die sich gleich nach den knappen Leuchtsignalen der Orchestereinleitung tief ins dunkelste Mittelalter, in geraunte Erzählungen und rabenschwarze Gedanken stürzt. Eine Nacht, deren einzige Milde darin besteht, dass sie die tragische Verstrickung der Schicksale von Manrico, Leonora, Azucena und Luna eine Zeit lang in gnädiges Dunkel hüllt und ihnen so wenigstens die Illusion eines besseren Lebens gewährt.

Kaum ein Stück, ließe sich folgern, passt demnach besser unter den freien Sommerhimmel – den Bühnenbildner kann man sich eigentlich sparen. Doch so einfach ist die Sache nicht. Denn um einen Monat lang (bis zum 21. August) die Ränge der Seebühne zu füllen, muss Spektakel her: eine Kulisse, die weithin über den See Opulenz und große Oper verspricht und damit zigtausende Urlauber anlockt. In den vergangenen Produktionen war dieser Spagat aus Breitenwirkung und werkgerechtem Regietheater auch gelungen: Vor allem die Inszenierungen von Verdis „Maskenball“ und Puccinis „La Bohème“ hatten gezeigt, dass Open- Air-Oper mehr sein kann als werkvergröbernder Bühnenersatz. Regisseure wie der Brite Richard Jones hatten die gigantischen Ausmaße der Seebühne für faszinierendes, ja visionäres Theater genutzt. Die Bilder vom riesigen Skelett, das im „Maskenball“ das Buch des Schicksals aufschlägt, und von den Bistromöbeln, auf denen sich die Lebensentwürfe von Puccinis Bohèmiens präsentieren, gingen um die Welt.

Diesmal soll eine flammend rot gestrichene Ölraffinerie zwischen Kunst und Spektakel vermitteln. Kessel, Türme und Laufgänge erinnern tatsächlich an die Silhouette einer mittelalterlichen Burg, und vom Öl als Machtfaktor der Gegenwart dürften die meisten Zuschauer schon einmal gehört haben. Doch viel weiter führt diese Assoziation den kanadischen Regisseur Robert Carsen und seinen Bühnenbildner Paul Steinberg nicht.

Über zweieinviertel Stunden spielt sich zwischen Abflussrohren und Ölfässern kaum mehr als konventionelle Oper ab, die lediglich in den großen Rahmen des Seebühnenspektakels gezwängt worden ist. Eine Haare raufende Zigeunerin (Larissa Diadkova mit orgelndem Mezzo), eine melancholische Society- Lady namens Leonora, die im Daimler vorfährt, ein Lederjackenrocker namens Manrico und dazwischen Statisten, die die Leere mit mäßig sinnvollen Aktionen füllen. Zigeuner, die zum Schmiedechor wütend gegen die Raffinerie-Tore pochen, Wachsoldaten, die mit flotten Exerzierchoreografien unterhalten, und dazwischen ein verlorenes Häuflein Nonnen, das hier wohl die letzte Ölung sucht.

Mehr als ein (gut organisiertes) Urlaubsvergnügen zum Verdi-Soundtrack ist das nicht. Zumal auch musikalisch allein aufgrund der räumlichen Trennung von Sängern und Orchester wenig Erkenntnisgewinn zu erwarten ist. Fabio Luisi, der neue Dresdner Opernchef, ist zwar ein guter Verdi-Dirigent, kann seine Vorstellung von hitzigen Leidenschaften aber nur entfalten, wenn er einmal keine Rücksicht auf die Sänger nehmen muss. Die Premierenbesetzung spiegelt Glanz und Elend des gegenwärtigen Verdi-Gesangs. Sondra Radvanowsky, deren Leonora letztes Jahr auch an der Deutschen Oper bejubelt wurde, setzt mit ihrem innig timbrierten Sopran die einsamen Lichtpunkte, der Mexikaner Alfredo Portilla versucht sich irgendwie an seinem Troubadour, der Rest ordnet sich ein.

Am Ende, wenn die Nacht ihr Leichentuch über die Bühne breiten möchte, sorgen prustende Stichflammen für einen festlichen Opernabschluss.

Jörg Königsdorf

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