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Kultur: Druck auf alle Seiten (Leitartikel)

Der Buchmarkt bebt. Auch wenn die heute beginnende Leipziger Frühjahrsbuchwoche wieder stolz auf fast tausend Lesungen und Diskussionen in vier Tagen verweist - gelesen und diskutiert werden in der Buchbranche derzeit vor allem die Bilanzen.

Der Buchmarkt bebt. Auch wenn die heute beginnende Leipziger Frühjahrsbuchwoche wieder stolz auf fast tausend Lesungen und Diskussionen in vier Tagen verweist - gelesen und diskutiert werden in der Buchbranche derzeit vor allem die Bilanzen. Denn angesichts roter Zahlen in großen Traditionsverlagen, nervöser Fusionsfantasien und einer erst am Anfang stehenden elektronischen Revolution des Buchvertriebs, wird allenthalben nach verlegerischen Zukunfts-Konzepten gesucht.

Dabei ist es nicht so, dass auf einmal zu wenig gelesen würde. Auch der Tod der Literatur, den Kulturkritiker und andere Katastrophenspezialisten gerne vorausgesagt haben, ist heute kein Thema mehr. Das wahre Problem bei der Ware Buch heißt schlicht und erdrückend: Es wird zu viel produziert. Die Buchhändler stöhnen, weil kein Sortiment der ständig steigenden Flut von Neuerscheinungen mehr gewachsen ist. Selbst professionelle Leser verfluchen die Übermasse von Titeln und Programmen, welche die Verlage mit immer höher tönenden Versprechungen anpreisen. Dabei man muss nicht einmal Hans Magnus Enzensbergers literarisch-statistischen Genie-Quotienten bemühen, um zu erkennen, dass sich die Zahl der Kafkas oder auch Kings (Stephen) in keinem schriftstellerischen Genre von Saison zu Saison einfach steigern lässt. Also weiß der erschöpfte Leser so gut wie der Buchhändler, dass neun von zehn allerorts angekündigten neuen Meisterwerken keine sind; und dass jährlich tausende Titel, von denen niemand ernstlich erwarten kann, dass sie Bestseller werden, nur deswegen erscheinen, weil die Maschinerien der Buchbranche am Laufen gehalten werden müssen.

Müssen sie das wirklich? Das alte System, durch die Schwungkraft der Neuproduktion auch das Gesamtgeschäft zu bewegen, funktioniert nicht mehr. Vor allem die Zweitverwertung teurer Hardcover-Titel als Taschenbücher, bisher eine ökonomische Stütze, bricht dramatisch ein.

Längst nämlich sind die Paperbackreihen uferlos geworden, ist der Taschenbuchmarkt verstopft. Rationalisierung tut also not. Und ebenso mehr Rationalität. Der deutschsprachige Buchmarkt hat seine demographischen und geographischen Grenzen. Deshalb ist es sinnlos, das amerikanische Spiel immer höherer Lizenzgebühren bei ausländischen Titeln mitzumachen. Sechsstellige Dollarsummen als Voraushonorare lassen sich hierzulande fast niemals einspielen. Und weil Übersetzungen und Lizenzen derart teuer sind, hat die Jagd nach Gewinn bringenden deutschen Autoren nun auch auf dem einheimischen Markt die Garantiehonorare zum Teil in Höhen getrieben, die eine gesunde Mischkalkulation zwischen einzelnen Schwerpunkttiteln, Hoffnungsträgern und literarisch ambitionierten Liebhaberstücken, aus denen manchmal dann wieder Verkaufserfolge werden, erschweren.

Kein Privatunternehmen kann auf Dauer von roten Zahlen leben. Aber ein Verlag von Rang wird nie verzichten können auf eine intelligent gemischte Kalkulation, die mit den Büchern bekannter, profitabler Autoren auch die ökonomische Basis und das kulturelle Umfeld schafft für Neuentdeckungen oder schwierigere Begabungen, die durchzusetzen einen längeren Atem braucht. Alle Konzepte für einen ebenso prestigeträchtigen wie profitablen Publikumsverlag trachten darum nach dem "Modell Diogenes".

Daniel Keel, der Begründer des Züricher Diogenes Verlags, hat sein mittelständisches Haus inzwischen zum heimlich-unheimlichen Riesen gemacht. Keel verlegt Patrick Süskind und Bernhard Schlink (deren erste Bücher in bundesdeutschen Verlagen abgelehnt wurden), er hat John Irving und Donna Leon, Fellinis Filmbücher und Tomi Ungerers Bilderbücher im Programm. Aber ein Verleger Keel, der mit Kalkül und Instinkt nur die Bücher druckt, die er selber gerne lesen würde, lässt sich durch kein Marketingprogramm klonen. Verleger zu sein, heißt die Lust an der Literatur und die Lust am Risiko zum Beruf zu machen. Das ist dann doch kein Geschäft wie jedes andere. Aber ein Geschäft muss es sein, das auch. Selbst ein Diogenes lebt nicht mehr in der Tonne allein von Luft und Geist.

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