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Kultur: Duett und Duell

Flügelkämpfe: Hannah Herzsprung und Monica Bleibtreu in „Vier Minuten“

Hände, an denen sie zerrt, kratzt, beißt, voll schrundiger Wunden, Haut, blass, raspelrau, aufgesprungen. Dünnhäutig, nein, wie ganz ohne schützende Haut die ganze Gestalt – du berührst sie nur zart, und sie explodiert, geht an die Luft, bellt: „Fass mich nicht an.“

Am Ende wird sie am Flügel zerren, kratzen, reißen. Greift in die Saiten, haut auf die Tasten, stampft mit den Füßen. Nicht viel, was von dem Schumann-Stück bleibt, von Wohlklang und Virtuosität. Gewalttätige Musik stattdessen, Musik wie eine Vergewaltigung, vier Minuten, in denen die Zeit stillsteht. Am Ende eine Verneigung, eine Verhaftung, Freiheit und Zwang, ein starkes Bild.

Die Genies und Wunderkinder: so schwer, sie im Film zum Leben zu bringen, sei es der in sich verschlossene David Helfgott in Scott Hicks’ „Shine“, sei es der altkluge Vitus bei Fredi M. Murer. Doch diese Jenny von Loeben ist überhaupt kein Wunderkind mehr. „Hab’ ich alles gehabt, bin von Wettbewerb zu Wettbewerb gezogen, hab’ Preise eingeheimst, bis ich zwölf war. Sollte ein zweiter Mozart werden, fand mein Vater. Und hat mich dann durchgefickt.“ Seitdem ist sie eine Mörderin, im Frauenknast in Luckau, der so aussieht, als sei es 1945. Oder 1989.

Als sie gecastet wurde, konnte die 25-jährige Schauspielerin Hannah Herzsprung überhaupt nicht Klavier spielen. Hat es nur frech behauptet, um die Rolle zu bekommen, und dann sechs Monate am Klavier geackert, dann ging’s. Hat sich auch in die Rolle geworfen, wie sie sich einmal gegen eine Glasscheibe wirft, mit Anlauf. Und sich ähnlich gewalttätig gleich nach ganz oben katapultiert, in der Film- und Festivalwelt: erster Preis beim Filmfestival von Shanghai, Lob von Jurypräsident Luc Besson, gerade der Bayerische Filmpreis, zuletzt eine Ehrung in Würzburg, und sie wird wohl auch den Deutschen Filmpreis im Mai gewinnen, das kann man jetzt schon prophezeien. Ein Senkrechtstart, ähnlich wie zuvor Sandra Hüller in Hans-Christian Schmids Exorzistendrama „Requiem“, wie Julia Jentsch in Marc Rothemunds „Sophie Scholl“. Gewalttätige, selbstzerstörerische Rollen auch diese. Autoaggression als Weg zum Ruhm.

Es ist ein Duell von besonderer Kraft, das da stattfindet im Knast von Luckau. Eine alte Klavierlehrerin, über 60 Jahre schon am Ort, Preußin durch und durch, Gehorsam und Disziplin, hat sich immer alles erarbeitet, erkämpft. Sie trotzt der Gefängnisleitung und fordert selber uneingeschränkten Respekt, Unterwerfung, Demut. Auf der anderen Seite ihre unbotmäßige Schülerin, der alles zufliegt, und die es wegwirft, und sich dazu. „Was ist nur mit dir los?“, wundert Frau Krüger sich, und auch der Zuschauer will es vielleicht gar nicht alles wissen, was los ist mit dieser Jenny von Loeben und mit dem ganzen Film.

Regisseur Chris Kraus („Scherbentanz“), geboren 1963 in Göttingen, inzwischen Dozent an der dffb, hat acht Jahre lang an diesem Projekt gearbeitet. Mit „Vier Minuten“ will er alles und noch viel mehr: eine Geschichte erzählen von Kindesmissbrauch und Liebesverrat, lesbischer Liebe in Nazizeiten, mit golden leuchtenden Sommertagsrückblenden, mörderischer Kommunistenverfolgung durch die SS, dazu in der Jetztzeit Mobbing im Knast, Kindstod – und eine minderjährige Mutter, der bei der Geburt der Kaiserschnitt verwehrt wird. Alles Elend dieser Welt, in 120 Minuten. Und überdeutliche Bilder dazu: der Falter, der mit gebrochenem Flügel auf dem blankpolierten Klavierholz zittert, Fische, die aus dem Fenster fliegen, ein Klavier im Regen auf dem Gefängnishof, surreal das alles und sehr, sehr ambitioniert. Am Ende müssen vier Minuten reichen, für die Apotheose. Vier Minuten, und Frau Krüger hat vier Eleven. Ein Zahlenspiel.

Das raschelt nicht wenig, zwischendrin, und spreizt sich auch. Und ist doch nur ein Nebenschauplatz. Chris Kraus’ „Vier Minuten“ wird in Erinnerung bleiben – nicht wegen seiner angestrengten Geschichte (und deren Auflösung), sondern wegen der außergewöhnlichen Doppelperformance in seinem Zentrum.

Hannah Herzsprungs Gegenspielerin ist Monica Bleibtreu. In der Maske um mindestens zwanzig Jahre gealtert, grau durch und durch. Die Haltung stocksteif, hölzern, nein, eisern. Die Stirn in strengen Falten, drei, parallel, wie mit dem Messer eingekerbt. Der Mund ein Strich, das Haar straff zurückgekämmt, da löst sich nichts. Eigentlich hätte Jeanne Moreau die Rolle spielen sollen und hätte sie anders gespielt wahrscheinlich, weicher, großzügiger. Doch Monica Bleibtreu ist das ideale Gegenelement zu Hannah: kalt zu heiß, trocken zu überquellend. Was da aufglimmt zwischen den beiden, in einer ersten Berührung – „Fass mich nicht an“ – und einem ersten Lachen, in herausfordernd geringschätziger Verführung und gut versteckter, zarter Sympathie, das ist ein Wunderwerk an Schauspielkunst. Man hätte es gar nicht so deutlich Liebe nennen müssen.

Broadway, Capitol, Cinemaxx Potsdamer Platz, Hackesche Höfe, International, Kino in der Kulturbrauerei, Neue Kant Kinos, Yorck + New Yorck

Christina Tilmann

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