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Kultur: Ehe und Ehre

„Schach von Wuthenow“ im Hans Otto Theater Potsdam

Tobias Wellemeyer, der Intendant des Potsdamer Hans Otto Theaters, ist ein Regisseur, der den Texten vertraut, die er inszeniert. Ein Ansatz, der auf Berliner Bühnen derzeit also absolut uncool gilt. Wer aber das ewige hauptstädtische Dekonstruieren und Veralbern leid ist, die körnigen Handkamera-Filme, den Bratzgitarrensound und das Mikrofongebrüll, für den lohnt sich der Weg raus nach Potsdam, an den Neuen See, ins Schauspielhaus mit dem roten Dachfächer.

Um beispielsweise John von Düffels Bühnenfassung des Tellkamp-Romans „Der Turm“ in Wellemeyers dichter, packender Inszenierung zu sehen. Oder Theodor Fontanes „Schach von Wuthenow“, den der Intendant jetzt zur Saisoneröffnung erstmals in Szene gesetzt hat. Mit ihren vielen Dialogszenen bietet sich die Novelle von 1882 fürs Theater an – neunzig Prozent des gesprochenen Textes stammen in Potsdam aus der Vorlage.

Fontanes Titelheld mit dem ungewöhnlichen Vornamen Schach, ein schneidiger preußischer Rittmeister, ist in die schöne Witwe Josephine von Carayon verliebt. Aus einer Laune heraus aber schwängert er deren von Narben entstellte Tochter Victoire. Die doppelt gedemütigte Mutter dringt beim König auf Heirat, der Soldat gehorcht – um sich noch in der Hochzeitsnacht eine Kugel in den Kopf zu jagen, aus Angst vor dem Spott der Kameraden.

Alexander Wolf hat seine Bühne nah am Wasser gebaut: Rohe Holzplanken wie bei einer Seebrücke, links begrenzt von einem Geländer, auf dem sich romantisch balancieren lässt, mittig verschwindet ein schmaler Steg im schwarzen Nichts. Wellemeyer hat mit seinem starken Ensemble eindringliche Bilder gefunden, die nur ganz selten ins Grell-Musicalhafte ausufern. Angemessen scharf zeichnet er den Kontrast zwischen dem Machogehabe der Offiziere und der freigeistigen Atmosphäre im Salon der Carayons: Schwer lasten die Uniformmäntel auf den Männerschultern, während Patrizia Carlucci und Marianna Linden als Tochter und Mutter in ihren Biedermeier- Fähnchen wie Elfen dahinschweben (Kostüme: Antje Sternberg).

Wenngleich Michael Schrodt den liberalen Vordenker Bülow mit ätzender rhetorischer Brillanz zur spannendsten Figur macht, steht im Mittelpunkt des Abends nicht Fontanes Kritik an einer Gesellschaft, die ihre besten Leute durch das Beharren auf hohl gewordenen Ehrbegriffen verliert. Als effektbewusster Theaterpraktiker konzentriert sich Tobias Wellemeyer in den pausenlosen 100 Spielminuten lieber auf die privaten Gefühle der Figuren. Wolfgang Vogler als Schach von Wuthenow hat dann auch seine stärksten Momente, wenn er sich der Horrorvision einer Eheroutine auf dem brandenburgischen Landgut hingibt.

Ganz am Ende reißt der Regisseur das Ruder dann doch noch ins Heute herum. Er erklärt die bei Fontane so bemitleidenswerte Victoire zur Siegerin und lässt sie mit ihrem Baby als stolze, moderne Alleinerziehende auftreten. Frederik Hanssen

Wieder am 17./18., 23.9., u. 8./9., 28.10.

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